Eldorado für Weißwein-Liebhaber*innen
Von der Quelle am Mont Gerbier-de-Jonc im Zentralmassiv fließt die Loire zunächst rund 600 km gen Norden, bevor sie bei Orléans nach Westen abbiegt und zielstrebig dem Atlantik entgegen strömt. Der Einfluss des Meeres sorgt für milde Winter und einen frühen Austrieb der Reben. Die lange Vegetationsperiode lässt die Trauben voll ausreifen. Je nach Höhe und Ausrichtung der Weinberge und ausgleichender Wirkung des Flusses fächert sich das Klima in zahlreiche Kleinklimata auf.
Bodenformationen und Witterung sind so unterschiedlich, dass die 400 km bis zur Mündung in verschiedene Weinregionen unterteilt und einzeln betrachtet werden müssen. Zumal die Winzer*innen im 19. Jahrhundert, als die Weinberge nach der Reblausplage neu bepflanzt wurden, je nach Standort auf ganz unterschiedliche Rebsorten setzten. 24 verschiedene Sorten sind heute zugelassen. Darunter markante Weiße wie Melon de Bourgogne, Chenin Blanc und Sauvignon Blanc, die das Loire-Tal zu einem Eldorado für Weißwein-Liebhaber*innen machen. Dass einige der Weine zu den besten Frankreichs zählen, ist außerhalb ihrer Heimat immer noch ein Geheimtipp. Höchste Zeit also, sich auf einen Trip entlang des großen Flusses zu machen. Wir reisen gegen den Strom und beginnen im Nantais:
Nantais: Unter dem Einfluss der Gezeiten
Die Gegend rund um die Stadt Nantes ist von Licht und Gezeiten geprägt. Im Unterboden findet sich Eruptivgestein des uralten Armorikanischen Massivs, das Gneis, Glimmer, Grünstein und Granit enthält. Küstenlandschaft und Wälder wechseln sich ab, mittendrin liegt der Lac de Grandlieu, in den Wintermonaten der größte natürliche See Frankreichs und ein Naturschutzgebiet mit rund 300 Vogelarten. Angepflanzt wird in erster Linie die weiße, frostbeständige Rebsorte Melon de Bourgogne, die als Muscadet in die Flasche kommt. (Achtung: Nicht zu verwechseln mit der Aromasorte Muskateller!) Kernzone ist das Gebiet rund um die Flüsse Sèvre und Maine, die sich kurz vor Nantes vereinen, um wenig später gemeinsam in die Loire zu fließen. Die Weine sind trocken-mineralisch und machen sich hervorragend zu Fisch und Meeresfrüchten wie sie in der Bretagne gerne serviert werden. Eine Besonderheit ist der Ausbau „sur lie“. Dabei reift der Wein nach der Gärung einen Winter lang auf der Feinhefe, was ihm mehr Frische und Feinheit sowie eine zarte Kohlensäure verleiht.
Anjou und Saumur: Kontrast aus hell und dunkel
Im Anjou wird der ozeanische Einfluss langsam schwächer, die Reben profitieren jedoch nach wie vor von den trockenen Atlantikwinden. Die hügelige Landschaft gehört seit der Jahrtausendwende zum UNESCO-Weltkulturerbe und überrascht mit einem Kontrast aus hell und dunkel. Während die Böden rund um die alte Provinzhauptstadt Angers von Sandstein und schwarzem Schiefer geprägt sind, dominiert ab Saumur das berühmte, strahlend weiße Tuffgestein des Pariser Beckens. Dankbares Terroir für Chenin Blanc und Cabernet Franc – und Jahrhunderte lang idealer Baustoff für Schlossherren. Davon zurückgeblieben ist ein unterirdisches Labyrinth aus Gängen und Höhlen, das einst der armen Bevölkerung als Unterschlupf diente und heute von den zahlreichen Sektkellereien als Weinlager genutzt wird.
Schon seit den 1990er-Jahren hat sich im Anjou eine lebendige Bio- und Naturweinszene entwickelt, darunter zahlreiche Individualist*innen und Vordenker*innen wie der Biodynamie-Pionier Nicolas Joly. Ihrem Einfluss ist es zu verdanken, dass heute 80 Prozent (2022) der Weinberge des Loire-Tals nachhaltig bewirtschaftet werden, Tendenz steigend.
Der Wein ist auch hier meist reinsortig, die Stilistik jedoch facettenreich. Sie reicht von Naturweinen bis großen Klassikern. Die bekanntesten entstehen aus Chenin Blanc. Die autochthone Rebsorte ist dank ihrer straffen Säure und eines hohen Lagerungspotenzials ähnlich vielfältig wie der deutsche Riesling: Es gibt trockene (sec), feinherbe (sec-tendre), halbtrocke (demi-sec) und liebliche (moelleux) Varianten sowie Schaumwein.
Touraine: Chenin Blanc und Cabernet Franc nahezu gleichauf
Weiter flussaufwärts in der Touraine geht der Tuff langsam in Kieselerde und Kieselsand über. An den Ufern der Loire gibt es hier und da kalkhaltige Lehmhänge und leichten Kies. Das Klima ist kontinental. Markant sind die vielen kleinen Nebenflüsse und ihre Täler: Vienne, Cher, Indre, Cisse, Brenne und der (!) Loir. Auch hier dominiert die weiße Rebsorte Chenin Blanc, aber der Cabernet Franc holt auf. Ganze 37 Prozent (Produktion 2020) macht der Rotwein in der Gegend rund um Tours aus, bevor er ab Orléans dem mächtigen Sauvignon Blanc weichen muss. Der bekannteste Rotwein der Touraine ist der Chinon aus dem gleichnamigen Ort an der Vienne. Er wurde bereits im späten Mittelalter nach Holland, Belgien oder Großbritannien verschifft.
Sancerre und Pouilly Fumé: Heimat des Sauvignon Blanc
Unter den weiter östlich gelegenen Weinbaugebieten an der Loire zählt Sancerre mit seinen grellen Kreideböden – ähnlich denen des Chablis und der Champagne – sicherlich zu den bekanntesten. Die Region war lange Zeit vom Rotwein dominiert. Erst in den 1970er-Jahren erlebte der Sauvignon Blanc, der hier vermutlich sogar seinen Ursprung hat, einen regelrechten Boom. Wie so oft bei solchen Entwicklungen hielten damit auch viele zweifelhafte Qualitäten Einzug, um den Massenmarkt möglichst gewinnbringend zu bedienen. Eine Handvoll Spitzenerzeuger*innen bringt dort aber nach wie vor Weine mit Weltklasseformat hervor.
Neben „Sancerre“ zählt die Appellation „Pouilly Fumé“ wohl zu den berühmtesten an der nord-östlichen Loire – nicht zu verwechseln mit den verschiedenen Pouilly-Appellationen im Burgund. Die Bezeichnung „Fumé“ bezieht sich hier auf eine geologische Besonderheit, nämlich das Vorkommen von Feuerstein im Boden, der sich in rauchigen Noten im Bukett der Weine niederschlagen kann.
Hunderte Kilometer Weinbau an der Loire und ihren Nebenflüssen lassen sich kaum in Worte fassen, am besten Sie erkunden ihn selbst Schluck für Schluck. Es lohnt sich! – Mehr dazu in unserem Reisebericht: Auf Weinentdecker-Tour an der Loire
Titelbild: PaysageLoire_Saumur © InterLOIRE | Bilder rechts von oben nach unten: 1 Savennières, 2 Château de Brissac, 3 Château Saumur, 4 Savennières © C. Vital, Bild 5 Loire, 6 PaysageLoire_Saumur © InterLOIRE | Trauben-Bilder und Karte unten © InterLoire
Loire-Tal – Weinvielfalt, die ihresgleichen sucht
Wer bei der Loire in erster Linie an Schlösser denkt, übersieht, dass an Frankreichs längstem Fluss eine Vielfalt an Wein entsteht, die weltweit ihresgleichen sucht. Denn der 1012 km lange, nicht begradigte Strom und die grüne, sanfte Hügellandschaft des Loire-Tals geben sich nur optisch gleichförmig. In ihrem Untergrund verbergen sich geologische Formationen, die abwechslungsreicher kaum sein könnten. Der Terroir-Gedanke spielt hier deshalb eine besondere Rolle. Zahlreiche Lagen gehören zu den ersten, die den AOC-Status erhielten, als das Appellationssystem 1936 in Frankreich aus der Taufe gehoben wurde. Dass an der Loire spannende Weine entstehen, wussten schon die Römer, die bereits im 1. Jahrhundert nach Christus im Garten Frankreichs Trauben und Obst anbauten. Im Mittelalter folgten ihnen erst die französischen Ordensbrüder, dann die Könige. Während der französische Hochadel zwischen Tours und Saumur die Sommerfrische genoss, ging ihm der Wein nie aus, denn er wurde direkt vor der Schlosstür kultiviert.