Weingut Heymann-Löwenstein, Mosel
Foto©Weingut Heymann-Löwenstein
Leidenschaftliches Plädoyer für den Terroir-Gedanken
Die eigentliche Revolution begann im Weingut Heymann-Löwenstein mit den 1990er-Jahren – mittlerweile am heutigen Standort in Winningen. Gegärt hatte es dort bis dahin auf Basis moderner Reinzuchthefen. Nun hielt im Keller das Einzug, was man heute als Low-Intervention bezeichnet, also der Verzicht auf den Zauberkasten der modernen Önologie. Stattdessen: Maischestandzeit, Spontangärung und ein langes Hefelager im traditionellen Holzfass. Das Ziel: vollkommen unmanipulierte, möglichst trockene Rieslinge, in denen kompromisslos das Terroir, der Jahrgang und der besondere Spirit der Menschen dahinter zum Ausdruck kommen. Botrytis-Trauben wurden einfach mitgekeltert und wenn die Hefe mal vorzeitig den Dienst quittierte, kam der Wein eben mit einer gewissen Restsüße auf die Flasche. Im Ergebnis führte dieses radikale Laisser-faire im Keller zu – für die damalige Zeit – äußerst ungewöhnlichen Weinen. Sie verweigerten sich ganz bewusst dem schnöden Massengeschmack und polarisierten auch die Fachwelt. Ein kleiner Kreis war durch die Weine wie vom Donner gerührt – der Rest stand ihnen eher ratlos bis feindselig gegenüber. Diese in Deutschland völlig neue Idee von Wein und was der Begriff „Terroir“ überhaupt bedeuten solle, das war hierzulande damals noch erörterungs- und erklärungsbedürftig. Dabei kam Reinhard Löwenstein eine Intellektualität und ein sprachliches Talent zupass, wie man es in der Weinwelt kaum ein zweites Mal findet. 2003 ergab sich für ihn die Möglichkeit, einen Text in der FAZ zu veröffentlichen: Der eloquente, bisweilen bissige Parforceritt durch die Tiefen und Untiefen des damaligen Wein-Establishments war ein leidenschaftliches Plädoyer für den Terroir-Gedanken und eine neue, wahrhafte Weinkultur.
Erfolgreiche Revolution
Es sollte nicht die letzte Wortmeldung Reinhard Löwensteins bleiben, die neben den Weinen weitere Kontroversen befeuerte. Wenige Jahre später folgte ein ganzes Buch. (Etliche seiner Texte findet man übrigens auf der umfangreichen Website des Weinguts.) Die Heymann-Löwensteinschen Rieslinge bekamen nun jedenfalls die breite Aufmerksamkeit, die ihnen längst gebührte, und das Weingut erlebte so auch endlich den verdienten wirtschaftlichen Durchbruch.
Frühe Avantgarde der modernen deutschen Weinkultur
1980 pachtete ein junges linkes Akademikerpaar in Lehmen an der Mosel ein Weingut – zunächst eher aus ganz profanen Broterwerbsgründen denn aus Idealismus. Er stammte zwar aus einer alteingesessenen Moselaner Winzerfamilie, war der provinziellen Enge jedoch frühestmöglich entflohen, um unter anderem – wie es sich damals für einen anständigen Linken gehörte – in Paris freiwilligen sozialen Friedensdienst zu leisten. Später hatte er Agrarökonomie studiert und schließlich eine Promotion an der Weinbauhochschule in Geisenheim begonnen. Doch war damals klar, dass ihm als Mitglied der ultralinken DKP angesichts des sogenannten Radikalenerlasses die anvisierte Laufbahn verwehrt bleiben würde. Irgendwie musste dann aber Geld aufs Konto kommen – dann eben doch Wein machen. Das lief anfangs wohl eher bescheiden und die 1980er-Jahre brachten für den deutschen Weinbau als Ganzes eine handfeste Krise mit sich. Die beiden warfen die Flinte dennoch nicht ins Korn respektive in die Schieferterrassen. Für die Riesling-Freaks rund um den Globus ist das bis heute ein großes Glück. Denn wir sprechen hier von Reinhard Löwenstein und seiner Frau Cornelia Heymann-Löwenstein – und damit von der frühen Avantgarde der modernen deutschen Weinkultur schlechthin.
Ab 2012 hat der Weinstil noch mal einen deutlichen Wandel erfahren, hin zu mehr Eleganz und einer früheren Zugänglichkeit – ohne dabei den eigenständigen Charakter einzubüßen. Unter anderem war durch den architektonisch markanten neuen Anbau an das Weingut endlich genügend Platz, um die Botrytis nach der Lese auszusortieren. Diese Trauben wandern seither in edelsüße Spezialitäten. Und natürlich dürfte auch der Einfluss von Tochter Sarah zu schmecken sein, die sich seitdem verstärkt ins Weingut einbringt. Heute sind die ungemein ausdrucksstarken Rieslinge von Heymann-Löwenstein im Allgemeinen über jeden Zweifel erhaben. Wenigstens diese Revolution in Deutschland war also letztlich von Erfolg gekrönt – und hat bis heute in unser aller Idee von Wein weite Kreise gezogen.
Bild rechts: Anbau Weingut Heymann-Löwenstein Foto@T.Vollmer