Domaine de Bichery, Champagne
Foto©DomainedeBichery
Raus aus dem anonymen Massenmarkt – rein in die Nische
Der Vater hatte seine konventionell produzierten Trauben noch komplett an eine der Kooperativen abgeliefert, die in der Champagne eine extrem wichtige Rolle spielen. Die meistverkaufte Champagner-Marke Feuillatte beispielsweise speist sich aus über 5.000 genossenschaftlich organisierten, anonymen Kleinbetrieben – und selbst die großen Luxusmarken kaufen so ihre Trauben zu. Das hat eine lange Tradition. Als nun Vater Piconnet sich aufs Altenteil zurückzog und das Weingut an seine beiden Söhne übergab, waren Raphaël und Hannah entschlossen, zumindest langfristig gesehen nicht Teil dieses Systems zu werden. Mit ihrer Hälfte der Rebflächen wollen sie künftig lieber (mengenmäßig) kleine, aber feine und vor allem moderne Winzerchampagner produzieren. Und zwar auf ökologischer Basis. Das ist nicht nur befriedigender, sondern heute auch eine Marktnische mit Zukunft.
Ein neues „Sternchen“ am Champagnerhimmel
Dafür bauten sie die Scheune von Raphaëls Großvater in Neuville-sur-Seine, im Süden der Côte des Bar (auch die „Aube“ genannte), zum Produktionsgebäude um. Im Weinberg wird seither ökologisch gearbeitet und mit den Trauben aus 2015 kamen schließlich die ersten eigenen Champagner auf den Markt – zunächst sehr überschaubare 5.000 Flaschen. Mehr als 15.000 sollen es aber auch in Zukunft nicht werden – bis dahin geht der übrige Ertrag noch an die Genossenschaft. Bei der Vinifikation setzen die beiden ganz zeitgemäß auf „low intervention“ – weitgehend auch ohne Schwefel. Vor seiner Rückkehr hat Raphaël Station in anderen Weinbaugebieten gemacht. Vor allem seine Zeit im Burgund prägte ihn nachhaltig, was sich nicht nur darin niederschlägt, dass die Grundweine zum Teil in gebrauchten Eichenfässern aus dem Burgund reifen, sondern ein Stück weit auch im kompletten Stil der Champagner. Die zeigen sich eher weinig, saftig und längst nicht so karg wie viele andere moderne Vertreter. Dafür werden die Trauben mit relativ hoher Reife gelesen.
Doch ist der Stil natürlich ebenso dem Terroir der südlichen Côte des Bar geschuldet, die sowohl geografisch als auch geologisch weit von der übrigen Champagne entfernt liegt – immerhin rund 200 km südöstlich von Epernay oder Reims – und deutlich näher am nördlichen Burgund. Die Böden hier sind vom Kimmeridge-Kalk geprägt wie man ihn zum Beispiel im Chablis findet. Auch stehen hier traditionell die roten Rebsorten im Fokus – heute mit über 75 % Rebfläche der Pinot Noir.
Gerade in den letzten Jahrzehnten hat sich die früher als untypisches, eher minderwertiges Anhängsel betrachtete Côte des Bar als Inkubator für Trendweingüter etabliert. Für die jüngere Sommelier-Szene und aufgeschlossenere Champagner-Fans kamen zuletzt einige der spannendsten Winzer*innen von hier. In diesem Umfeld hat auch die Domaine de Bichery bereits mit dem ersten winzigen Jahrgang regelrecht eingeschlagen. Nicht minder übrigens im vinocentral-Team.
Ein angesagtes Start-up
Um ein so ganz richtiges Start-up handelt es sich bei der Domaine de Bichery eigentlich nicht. Denn in der Champagne, wo Weinberge nur selten verkauft werden und ein Hektar bis zu 1,8 Mio. Euro kostet, gestaltet es sich heute doch etwas schwierig, wirklich von Null anzufangen. Start-up-Charakter hat das Ganze trotzdem, weil Hannah und Raphaël Piconnet-Boesel zwar rund 7 Hektar Reben von Raphaëls Vater übernehmen konnten – damit aber Schritt für Schritt eine komplett neue Domaine auf die Beine stellen.