Eine Bemerkung über den „ersten Brexit“ weckte unser Interesse an englischem Sekt. Denn dabei war nicht vom EU-Austritt die Rede, sondern von einer riesigen Flut, die vor 200.000 bis 450.000 Jahren durch einen Dammbruch an der heutigen Meerenge zwischen Frankreich und England ausgelöst wurde und die britischen Inseln rein physisch vom europäischen Kontinent ablöste.
Aufgrund der einstigen geologischen Verbundenheit gehört die Südostküste Englands zum sogenannten Pariser Becken, dessen Böden von Millionen Jahre alten Sedimentschichten geprägt sind. An den steilen Klippen von Dover findet man deshalb ähnlich mächtige Kalksteinböden wie in einigen Weinbergen der Champagne.
Lange Zeit interessierte das in erster Linie Naturwissenschaftler*innen. Seit dem voranschreiten-den Klimawandel ist dieses Wissen auch für die Sekterzeugung interessant. Denn während es in der Champagne immer wärmer wird und die Winzer*innen um die für den Schaumwein wichtige Säure bangen müssen, kommen den südenglischen Kellereien die steigenden Temperaturen gerade recht. Die britische Sektproduktion ist im Aufwind. Sogar renommierte französische Champagner-Häuser investieren in Kent und East Sussex. Anlass für uns, sich die englische Sekt-Szene genauer anzusehen.
Oxney Organic Estate – Sekt von der Insel auf der Insel
Bei einem Aufenthalt im malerischen südenglischen Städtchen Rye lässt die Sektentdeckung dann auch nicht lange auf sich warten. Direkt um die Ecke unseres Cottages, in einer Vinothek mit dem passenden Namen „The Winesearcher“, finden wir einen Sekt von Oxney Organic Estate, der uns auf Anhieb begeistert. Wie es der Zufall will, liegt das Weingut in der Nähe und bietet laut Website jeden Freitag um 10.30 Uhr eine geführte Wineyard-Tour inklusive Tasting an. Der kommende Tag ist ein Freitag und so machen wir uns spontan, ohne Anmeldung auf den Weg. Dieser führt auf kleinen, von Hecken gesäumten Straßen, vorbei an „lovely“ Landhäusern zu einem historischen Wirtschaftsgebäude. Doch welche Enttäuschung: Es ist „closed“ – weit und breit kein Mensch zu sehen. Und jedes Hoffnung weckende Motorgeräusch, das sich auf der einsamen Straße nähert, bringt nur weitere unangemeldete Besucher*innen. Schließlich stehen wir zu sechst ratlos vor dem Tor. Wir wollen schon aufgeben, da kommt mit einem weiteren Wagen das für die landwirtschaftliche Bewirtschaftung zuständige Farmer-Ehepaar. Die für die Führung zuständige Besitzerin indes fehlt noch immer.
Es folgt ein Telefonat, große Verwunderung über die unerwarteten Besucher*innen und das Versprechen, sofort ins Auto zu steigen. Nach weiteren 20 Minuten ist Kristin Syltevik schließlich da. Sie sprüht nur so vor Charme, die Warterei ist schnell vergessen.
Sesam öffne dich! Das Tor zur Oxney Organic Estate bleibt lange geschlossen. Der Walky Talky vor dem Kellerei-Gebäude ist gut gemeint, aber unerreichbar.
Bio-Sekt ist selten in England
Selbstbewusst und mit viel Esprit erzählt die Selfmade-Önologin, dass sie lange Jahre in einer PR-Agentur gearbeitet hat. Frankfurt kenne sie gut, schließlich sei sie ausgestiegen, habe 2012 Land gekauft, die klassischen Champagnersorten – Pinot Noir, Chardonnay und Pinot Meunier – angebaut – und sich als eine der wenigen in der englischen Sekt-Szene dem biologischen Anbau verschrieben. „Das ist nur möglich, weil das Weingut so hoch liegt. Doch auch das schützt uns hier nicht vor Ernteausfällen: 2017 war’s der Frost, 2016 starker Regen.“
Die Produktion ist also begrenzt, es gibt bei unserem Besuch einen Rosé 2015 mit 9g Dosage sowie einen Classic 2015 mit nur 5g „Liqueur d’expédition“ – jedoch auch davon nur noch wenige Flaschen. „Very Brut and very unusual“ für die Gegend. Doch uns gefällt’s – wie auch Jancis Robinson und anderen renommierten Weinkritiker*innen. Gleich der erste Jahrgang hat einen Preis gewonnen. Außerdem werde der Oxney in vielen britischen Restaurants ausgeschenkt, darunter zwei der besten Londons, erzählt Kristin.
Trauben, geprägt von den Sand- und Schlammlehm-Ablagerungen des River Rother und dem Cool Climate East Sussex.
Trauben statt Hopfen
Trotz des britischen Sekt-Hypes ist es offenbar immer noch ungewöhnlich, dass auf der Insel Wein angebaut wird. „Die Leute pflücken einfach die Trauben und probieren“, erklärt die Winzerin. Zum Schutz hat sie hohe Hecken gepflanzt. Darin nisten Stare, deren Naschsucht ihr nun anstelle der menschlichen zu schaffen macht. Mit Einspielungen von Vogelstimmen natürlicher Feinde versucht sie, sie daran zu hindern.
Dank des Coole Climate reifen die Trauben langsam. Jetzt im Juli sind die Stöcke gerade noch am Blühen. Geerntet wird erst in der zweiten Oktoberhälfte.
„Ist das hier nun der gleiche Boden wie in der Champagne“, wollen wir wissen. „Nein“, sagt Kristin, „aber alt ist er auch: Ein feiner Sand- und Schlammlehm, der in der frühen Kreidezeit vor 140-100 Millionen Jahren durch Ablagerungen des Flusses Rother gebildet wurde. Die Hochebene Oxney war einst eine eigene kleine Insel im Marschland vor der Küste.“ Eine Insel auf der Insel also, hat diesen wundervollen Sekt geprägt. Davon können wir uns in der Probierstube abermals überzeugen. Das Haus, eine ehemalige Brauerei, steht unter Denkmalschutz. Dort wo früher der Hopfen lagerte, reift heute der Grundwein für den Sekt. Kein schlechter Tausch!
„Unser“ englischer Sekt scheint also wirklich gefunden. Zurück in Darmstadt muss auch der Rest des Teams nicht lange überzeugt werden. Vollkommene Adelung erfährt der Oxney Classic schließlich, als sich auch Niko Brandner, Shooting Star der deutschen Sektszene, bei einer spontanen Blindverkostung begeistert zeigt. Der Weg ins vinocentral-Sortiment ist damit mehr als frei.
Als alles andere als frei erweist sich hingegen der Weg der Flaschen von der Insel hinüber auf den Kontinent. Zahlreiche EU-Bestimmungen lassen ihn zu einem bürokratischen Irrweg werden. Von einfachen Handelsbeziehungen kann keine Rede sein. Ironischerweise würde ein britischer EU-Austritt die Einfuhr deutlich erleichtern. – Ein weiterer Brexit ist nicht in unserem Sinne, leichtere Importbedingungen für englischen Sekt sind aber durchaus wünschenswert!
Doch geschafft ist geschafft: Zu den Sekten von Oxney Organic Estate geht es hier.
Jung, frisch und schon preisgekrönt: Der Classic und der Rosé von Oxney Organic Estate.
Hier wird gereift, gerüttelt und verkorkt.