Von da aus, wo die Mosel aufs harte Rheinische Schiefergebirge trifft, windet sie sich – entlang dramatischer Felshänge – so pittoresk durchs Land, dass die Region sicherlich zu den herausragendsten landschaftlichen Schönheiten Deutschlands zählt. Zudem bieten der Fluss und seine steilen, optimal zur Sonne geneigten Hänge beste Bedingungen für den Weinbau. Diese Verbindung aus landschaftlichem Reiz und Weinkultur zog seit jeher Besucherinnen und Besucher an, vor allem natürlich aus den nahegelegenen Industriestädten des Rheinlands. Nun ist der gemeine Rheinländer von Natur aus fröhlich – auch außerhalb der Karnevalszeit – und so entwickelte sich die Mosel gewissermaßen zur Urmutter des deutschen Schunkeltourismus. Hier konnten die Kölner und Düsseldorfer mal ihr obergäriges Bier vergessen und stattdessen leichtfüßige Rieslinge mit etwas Restsüße und geringem Alkohol wegzischen wie Kölsch. Dazu wurde gesungen, gelacht und Gutbürgerliches in XXL-Portionen verdrückt. Lange Zeit war das alles ein Segen – kehrte sich jedoch zum Fluch. Die Mosel blieb in vielerlei Hinsicht da stehen, wo’s ihr lange Zeit so gut gegangen war – ihre Fans begannen aber auszusterben. Man hatte zudem über die Produktion gefälliger Massenweine hinweg vergessen, was den Moselriesling einst zu den großen Weinen der Welt gemacht hatte: die sensationellen Schiefer-Steillagen mit ihren einzigartigen Terroirs wurden zunehmend als unwirtschaftlich betrachtet. Billig geht da einfach nicht, weil der Weinbau in den steilen Hängen um vieles mühevoller ist als im flachen Land. Aber „billig“ sollte sich ohnehin als Holzweg für die ganze Region erweisen.
Viele Weintrinker in Deutschland sehen noch heute den Moselwein vor ihrem geistigen Auge als erschwinglichen Seelentröster auf dem Nierentischchen in der Seniorenwohnanlage. Doch wer so denkt, hat einiges verpasst. Die Moselspätlese aus der untersten Regalebene im Supermarkt ist es sicherlich nicht wert, dass man sich für 1,99 € auch noch bücken muss. Moselweine mit Qualitätsanspruch hingegen gehören nach wie vor zum Spannendsten, was die Weinwelt zu bieten hat. Das beweisen einige Altmeister seit vielen Jahren – aber auch die jüngere Generation schläft nicht. Diese Winzerinnen und Winzer vermögen es, den kargen Schieferböden und den steilen Hanglagen Rieslinge zu entlocken, die im Glas regelrecht singen – von ihren außergewöhnlichen Terroirs, von harter und mühevoller Handarbeit und von einem Weinstil, der weltweit einzigartig ist und nur unter genau diesen Bedingungen entstehen kann. Und für solche Schiefergesänge und Steillagenlieder im Glas haben wir uns flussabwärts entlang der Mosel auf Entdeckungsreise begeben.
Wir starten in Traben-Trarbach, rund 40 km nordöstlich von Trier. Beim erst 2005 gegründeten Weingut Weiser-Künstler konzentrieren sich zwei junge Newcomer auf die große Tradition des Moselrieslings, die ursprünglich gar nicht aus der Region stammen. Konstantin Weiser und Alexandra Künstler haben hier nicht nur sich als Paar gefunden, sondern auch gleich ein paar wurzelecht bepflanzte Parzellen in Spitzenlagen aus der Zeit um 1900, denen weder die Reblausplage noch die Flurbereinigung zu Leibe gerückt war. Diese alten Terrassenanlagen lassen sich nur in mühevoller Handarbeit bewirtschaften – bringen dann jedoch wirklich einzigartige Weine hervor. Das stellen die beiden mittlerweile Jahr für Jahr mit glasklaren, präzisen und mutig-kantigen Rieslingen unter Beweis.
Wir rudern ein Stückchen flussabwärts und gehen in Pünderich an Land. Hier wohnt und wirkt einer der großen Avantgardisten von der Mosel: der sympathische Clemens Busch, der das gleichnamige Weingut gemeinsam mit seiner Frau aufgebaut hat. Schon in den 1980er-Jahren stellte er den Betrieb auf kontrolliert biologischen Weinbau um. Heute zählt er zu den besten biodynamischen Erzeugern der Welt. Busch ist der lebende Beweis dafür, dass Spitzenweine von der Mosel überhaupt kein so junges Phänomen sind, aber in Deutschland lange Zeit schlichtweg verpennt wurden. Weshalb die großen Namen bis heute vor allem Exportschlager sind. Clemens Buschs Rieslinge zählen zum Kraftvollsten und Ausdrucksstärksten an der Mosel – und bewahren sich dennoch stets Feinheit und Finesse.
Weiter geht unsere Moselfahrt nach Winningen zu Cornelia Heymann-Löwenstein und Reinhard Löwenstein vom Weingut mit dem Doppelnamen. Er gilt gemeinhin als der Linksintellektuelle und streitbare Querdenker unter den deutschen Winzern – aber unbestritten als einer der besten Weinmacher, der ganz nebenbei auch schon als Buchautor zum vielbemühten Thema „Terroir“ in Erscheinung trat. Denn das steht für den erklärten Low-Tech-Winzer im Vordergrund, der als einer der ersten auf Spontanvergärung und ökologische Methoden setzte, dem klassischen Bioweinbau heute jedoch eher kritisch gegenüber steht. Jeder seiner Rieslinge ist – ganz wie der Winzer – ein durchweg außergewöhnlicher Charakterkopf.
Was unsere drei Moselwinzer verbindet, ist ihre Leidenschaft und ihr Fingerspitzengefühl, wenn es darum geht, den Riesling im Glas klingen zu lassen. Das sind unendlich schöne und manchmal auch etwas verrückte Lieder, die man da zu hören bekommt. Von schroffen, steilen Felsen. Von kargen Böden aus verwitterndem Schiefer, der so feinblättrig ist, dass man ihn zerkauen kann. Von schwindelerregenden Höhen, in denen unter außergewöhnlichen Bedingungen wunderbare Weine gedeihen. Und von Menschen, die sich auf dieses Wagnis überhaupt noch einlassen, weil ihr Herz dafür schlägt. Mit dem Gejohle volltrunkener Mosel-Touristen aus vergangenen Tagen haben diese Gesänge so überhaupt nichts gemein – denn hier geben drei äußerst feinsinnige Mosel-Interpreten ihr ganzes Können zum Besten. Wir würden uns freuen, wenn Sie ihnen gemeinsam mit uns lauschen.
Riesling Kabinett Wolfer Sonnenlay 2015
Intensiver Duft nach frisch gepresstem Apfelmost, Holunderblüten, Honiganklänge, frische gelbe Früchte und ein Hauch Zeitungspapier. Am Gaumen sehr ausgewogene Balance von knackiger Säure und glasklarer, trinkiger Restsüße, traubig mit vollreifen Früchten. Geschmeidig und überaus erfrischend. Der perfekte Wein zu kräftigem Käse und Chili-Gerichten.
Riesling Enkircher Steffensberg QbA 2014
In der Nase sehr verhaltene dennoch klare Aromen von Blütenpollen, Kräutern, nassem Feuerstein, etwas Schwefel und Akazienhonig. Der Wein fließt zunächst sehr zart und leichtfüßig über die Zunge – dann packt eine griffige, mineralische Säure am Gaumen und verleiht ihm eine ungeahnte Länge. Schlank, herrlich kantig, straff – und am Ende doch überaus harmonisch.
Riesling trocken Vom roten Schiefer VdP Ortswein biodynamisch 2014
Die typische Schieferwürze, Zitrus- und Pfirsichnoten mit weißen Johannisbeeren. Am Gaumen ist der Wein sehr geradlinig, spannungsvoll und puristisch. Eine feine, angenehm knackige und erfrischende Säure sorgt mit salzigen und erdigen Anklängen für ausgeprägte Trinkigkeit und ein Finish, das ganz klar fordert: Bitte gleich noch mal.
Riesling trocken Marienburg Fahrlay VdP GG biodynamisch 2013
Etwas Lakritz, Akazienhonig, rauchige und steinige Noten, durch die mehr und mehr gelbe und weißfleischige Früchte dringen. Am Gaumen erst kühl, dann zunehmend kraftvoll, fast mächtig und trotzdem filigran. Im Abgang salzig, wunderbar herb, leicht adstringierend und ewig lang. Scheint für immer auf der Zunge bleiben zu wollen. Warum auch nicht?
Weingut Heymann-Löwenstein
Riesling Schieferterrassen QbA 2014
Höchst interessantes, nicht leicht zu identifizierendes Aromenbild, das sehr schlank und klar wirkt, aber ständig zwischen verschiedenen Facetten changiert. Erst jodig, metallisch, mit dezenten Anklängen von Kräutern – dann wieder eher Blüten und Frucht. Am Gaumen im ersten Moment leicht und kristallklar, worauf ein frisch-herber und extrem vielschichtiger Abgang folgt. Sehr saftig, sehr präzise.
Riesling Stolzenberg VdP GG 2014
Purer Irrsinn: Zunächst fettig, speckig mit frittierten Noten und Wurstgewürzen wie Majoran. Darunter dezente gelbe Fruchtaromen, süßliche Kräuter, die mehr in den Vordergrund treten, je länger der Wein atmet. Im Mund entfaltet sich dann eine endlos weite Schieferkathedrale – am Ende leise Fruchtanklänge, Darjeeling und eine mundfüllende Struktur aus feinen Mineralien. Mosel at its best.
Fotos:
Titelbild: A. Faber (c) Weingut Heymann-Löwenstein
Steilhänge A. Durst (c) Weingut Heymann-Löwenstein
Rebstöcke und Ehepaar Heymann-Löwenstein (c) Weingut Heymann-Löwenstein
Flaschenbilder (c) Daniela Martinovic