Der Text "Geschichte des Darmstädter Weinbaus" von Dr. Peter Engels, Stadtarchivar in Darmstadt, entstand für seinen Vortrag im Eberstädter Bürgerverein von 1980 e.V.. Die dortige Arbeitsgruppe "Eberstädter Weingärtner" pflanzt heute in dem Darmstädter Stadtteil wieder Wein an.
Geschichte des Darmstädter Weinbaus
Von Dr. Peter Engels
Wenn man sich heute die Darmstädter Trinkkultur anschaut, oder sich zurückerinnert, was früher getrunken wurde, drängt sich der Eindruck auf, Darmstadt und Umgebung seien schon immer eine Biergegend gewesen. Man kann heute den Weinanbau an der Bergstraße deutlich von der Braugegend in Darmstadt und Umgebung, etwa Pfungstadt, absetzen. Im 19. Jahrhundert gab es in DA zwischen 20 und 30 Brauereien, heute gibt es noch drei; auch in Eberstadt kennt man die Brauerei Hilsß zumindest noch vom Hilsße Ecke. Es gab die Mühltalbrauerei, die Brauerei Diefenbach, später Jakob, in der Oberstraße, heute Haus der Vereine, Brauerei zum Schützenhof, ebenfalls in der Oberstraße. Pfarrer Johannes May sprach 1791 von den drei großen nahrhaften Eberstädter Brauhäusern, deren Erzeugnisse im ganzen Bezirk ringsherum bekannt seien.
Wein als Deputatslohn, Weinentzug als Strafe
Die Brautradition in Darmstadt und Umgebung begann eigentlich erst im 18. Jahrhundert und erlebte ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert und vor dem Ersten Weltkrieg. Vorher wurde meist für den Eigenbedarf oder für den Wirtshausbetrieb gebraut. Es ist bezeichnend, dass Landgraf Georg I., als er 1573 seine Hofbrauerei einrichtete, keinen geeigneten Darmstädter Braumeister fand, sondern einen Brauer aus Braunschweig holte. Denn: Darmstadt, Bessungen, Eberstadt, und sogar Arheilgen und Wixhausen, waren Weinbaugemeinden. Hier wurde seit dem Mittelalter in großem Umfang Wein angebaut.
Man ist erstaunt, eine welch große Rolle der Wein in unserer Gegend in der älteren Zeit spielte. Er gehörte zum Alltag der Bürger und lief in Bezug auf die Anbauflächen dem Getreide oder Gemüse den Rang ab. Der Wein war ein Volksgetränk. Keine Sitzung der Ratsherren, kaum eine offizielle Amtshandlung, kein Vertragsabschluss ohne Weintrunk. Offizielle Besichtigungsgänge wie die Grenzgänge oder der Gang durch die Weinberge zur Feststellung der Traubenreife wurden von den gemeinsamen Kommissionen immer mit einem Weingelage besiegelt, bei Feierlichkeiten aller Art war er ohnehin selbstverständlich. Wein gehörte zum Deputatslohn von Handwerkern, wurde überhaupt als Teil des Lohns ausgegeben: Hofbedienstete, auch Pfarrer, erhielten einen Teil ihrer Bezahlung in Wein. Er diente auch als Strafe. Ratsherren, die unentschuldigt einer Sitzung fernblieben, mussten als Strafe Wein bezahlen, also de facto ihren Kollegen einen ausgeben. Die Hofordnung Georgs I. bestrafte Vergehen u. a. mit Entzug des zustehenden Weinquantums.
Erste Erwähnung Darmstädter Weingärten im Jahr 1375
Wann der Weinanbau in Südhessen begann, ist nicht sicher. Dass ihn schon die Römer hier pflegten, ist nicht erwiesen und angesichts der zum römischen Herrschaftsgebiet gehörenden qualitativ besseren Anbaugebiete im Rheingau, in Rheinhessen und an der Mosel eher unwahrscheinlich. Die ersten Hinweise finden wir in Lorscher Urkunden des späteren achten Jahrhunderts. Es ist daher eher zu vermuten, dass über die fränkischen Klöster der Weinbau eingeführt wurde. Lorsch, Seligenstadt, Fulda, später Eberbach, hatten hier Besitzungen. Erstmals erwähnt wurden Darmstädter Weingärten allerdings erst im Jahre 1375. Damals verlieh Graf Wilhelm II. von Katzenelnbogen seiner Gattin Else Besitz in Darmstadt, darunter auch Weingärten. Die Grafen von Katzenelnbogen, die das südliche Hessen seit dem 13. Jahrhundert von ihren Residenzen Rheinfels und Darmstadt und von den Burgen Auerbach und Lichtenberg aus beherrschten, förderten den Weinbau. Ihrem gut ausgebauten Rechnungswesen verdanken wir die ersten näheren Hinweise auf den Weinbau. In der ältesten erhaltenen Rechnung aus dem Jahr 1401 finden sich Angaben über den Weinbau: Der Graf erhielt zu Weihnachten und im Mai Bannweingeld aus Bessungen und Klappach, eine Abgabe auf jedes Fass abgefüllten Weins, außerdem erntete er 12 Fuder Wein (1 Fuder = 1092 Liter) von den eigenen Weinbergen in Darmstadt und Bessungen, dazu Wein aus Zwingenberg, Lichtenberg, Schaafheim, Rüsselsheim und Dornberg. Am Darmstädter Hof wurden in diesem Jahr 1401 ca. 36.000 Liter Wein getrunken. An Arbeiten im Weinberg wurden 1401 erwähnt: das Schneiden der Reben, das Setzen der Pfähle, die Lese, das Keltern, das Herstellen der Fässer u. a. Die Arbeiten wurden von Tagelöhnern, vor allem von Frauen verrichtet.
Landgraf Georg I. förderte nach seinem Regierungsantritt 1567 den Weinbau in der Obergrafschaft, indem er neue Reben anpflanzen ließ und große Mengen Wein für den Hof aufkaufte, auf diese Weise die Existenz der Weinbauern förderte. 1589 kaufte der Hof 276 Fuder inländischen 1588er Weins zu 50fl. pro Fuder, davon 40 Fuder in Darmstadt, 13 in Bessungen und 38 in Eberstadt. Vom 1591er in Eberstadt noch einmal 13 Fuder. In DA und Bessungen waren damals etwa 415 Morgen Land mit Reben bestückt. Gekeltert wurde der Wein im Übrigen in der herrschaftlichen Kelter, die sich auf der Südseite des Weißen Turms befand. Es wurde nicht nur Wein gekeltert, sondern aus der Weinhefe ein Hefebrand hergestellt.
Wein statt Wasser am Marktbrunnen
Nicht nur der Landgraf, auch die Stadt Darmstadt unterhielt einen eigenen Weinkeller im Rathaus und beschäftigte dafür zwei Weinmeister und zwei Weinschröter. Die Darmstädter Gastwirte mussten ihren Wein vom städtischen Weinkeller beziehen. Bei besonderen Feierlichkeiten lief aus dem Marktbrunnen statt Wasser weißer und roter Stadtwein, z.B. bei der Heimholung von Elisabeth Dorothea, der Frau Ludwigs VI., im Jahr 1667. Noch 1927, als nach dem Umbau des Alten Rathauses der Ratskeller eröffnet wurde, durfte der Pächter nur Wein aus dem städtischen Weinkeller ausschenken. Auch die Pächter der städtischen Gastwirtschaften im Oberwaldhaus und im Saalbau führten vor allem städtische Weine. Erst nach 1945 wurde der Stadtweinkeller aufgelöst.
Im 30jährigen Krieg kam der Weinbau in ganz Südhessen fast zum Erliegen. Soldaten verwüsteten die Felder und Weingärten und plünderten die Weinvorräte. 1622 verprassten plündernde Soldaten den gesamten städtischen Weinvorrat von 65 Fudern. Nach 1648 bemühten sich die Landgrafen, den Weinbau wieder zu beleben. 1658 ließ Landgraf Georg II. auf dem Heiligen Kreuzberg mehrere Morgen Wald roden und mit Reben besetzen. Die Weingärten wurden auf mehrere Darmstädter Bürger verteilt, die sie bewirtschaften mussten.
Im Jahr 1664 gab es offensichtlich wieder eine große Zahl von Weingärten. Im Bericht der Wingertkommission vom 24. September 1664 ist zu lesen: Wir haben die Weingärten allerorten im Darmbstädter und Beßunger Gemarckung ... besichtiget: Auf dem Weingartsberg (Mathildenhöhe), auf dem Breitwieserberg, Im Emser und zu beiden Seiten des Weges nach Bessungen (vermutlich die heutige Karlsstraße) seien die Trauben so beschaffen, dass sie noch 8 oder 10 Tage hängen können. Am Busenberg (Rosenhöhe), am Heiligen Kreuz und südlich von Bessungen also Richtung Eberstadt seien die Trauben bereits weiter gediehen, so dass hier innerhalb der nächsten Tage mit der Lese begonnen werden könne.
Aus dem gleichen Jahr stammt das Verzeichnis des Weinvorrats Ludwigs VI. in den Kellereien Darmstadt und Dornberg. Dort lagerte neben Wein aus Alsbach, Zwingenberg, Pfungstadt und Darmstadt auch solcher aus Langen und Egelsbach. Dies zeigt, wie weit nach Norden damals der Weinanbau verbreitet war. Auch in Arheilgen wurde vor dem 30-jährigen Krieg in vielen Wingerten Wein angebaut. Im Westen am Brombeerberg und im Osten Richtung Kranichstein wuchsen Reben. Im Norden breiteten sich Reben bis zur Silz aus. Dort wird 1766 noch ein Weingarten erwähnt. Etwas weiter nördlich schlossen sich die Wixhäuser Weingärten an. Nach dem 30-jährigen Krieg fristete der Weinbau jedoch hier nur noch ein kümmerliches Dasein.
Der Weinbau war aufwändig und der Ertrag sehr wetterabhängig. Viele Bauern tendierten dazu, Weinberge unbebaut zu lassen oder in Ackerland umzuwandeln. Wiederholt befahlen fürstliche Erlasse den Untertanen, ihre Weinberge wieder zu bebauen. Dies hatte seinen Grund vor allem in der Tranksteuer, die auf Wein und Bier erhoben wurde und die wichtigste Verbrauchssteuer darstellte. Sie war 1553 eingeführt worden. Die wiederholten Erlasse zeigen aber auch, dass trotz Strafandrohung und Verhängung von Geldbußen viele Bauern ihre Weingärten dennoch unbebaut ließen oder mit anderen Feldfrüchten bebauten.
Die Weinberge waren eingezäunt und mussten bewacht werden, weil immer wieder Weidevieh oder Wild dort eindrang und es auch zu Traubendiebstählen kam. Deshalb war das Betreten der Weingärten ab Anfang September bis zur Lese ganz verboten.
Wein auf Rosen- und Mathildenhöhe
Wo lagen die Weinberge in Darmstadt? Eigentlich rings um die Stadt. Gute Lagen waren der Busenberg und der Wingertsberg (heute Rosenhöhe und Mathildenhöhe), der Breitwiesenberg links und rechts der Dieburger Straße, weiter die Straße hinauf der Heilige Kreuzberg. Eine gute Weinlage war auch St. Jost, das ist die Gegend um den Mathildenplatz herum und westlich und nordwestlich davon. Hier befand sich ein „Hernnwingert“, also ein vom Landgrafen selbst bewirtschafteter Weingarten. Die Weingärten zogen sich weit nach Nord und Westen bis in die Gegend der heutigen Waldkolonie. Der Traubenweg, Teil der älteren Traubenschneise, erinnert noch daran. Auch auf dem Gebiet der Alten Vorstadt (Magdalenenstraße) wurde bis zu deren Bebauung Wein angebaut (1583 sind Arbeiten an den dortigen Weinbergen belegt), ebenso auf dem Gelände des heutigen Herrngartens.
Auf dem sanften Anstieg von Marienplatz über das Staatstheater zur Ludwigskirche standen ebenfalls Reben. Der Abschnitt der Saalbaustraße zwischen Elisabethen- und Adelungstraße hieß bis Mitte des 19. Jahrhunderts Weinbergstraße. Auch auf dem Hofgut Kranichstein gab es Weingärten.
"Weinort" Bessungen
Bessungen war sicher der am dichtesten mit Reben bestandene Darmstädter Stadtteil. Hier lagen die Weinberge unmittelbar um das Dorf herum, zwischen heutiger Sandberg- und Weinbergstraße, an der Straße „Im Gäßchen“, heute „Im Wingert“, am Galgenberg (Wolfskehlscher Garten), am Eichberghang (heute Prinz-Emil-Garten und Umgebung), am Kapellberg direkt unterhalb der Kirche, am Steinberg (Flur „In Heinrichs Weingarten“ 1597 erwähnt), und am Herdweg, der zu beiden Seiten dicht mit Reben bestanden war, die Gewann „Im Helchen“ zwischen DA und Bessungen, sowie die Fluren „In der Landskron“ und „Hermanns Piel“, beide zwischen Ludwigshöhstr. und Klappacher Str. südlich der Landskronstraße. Noch weitere Weinberge ließen sich nennen.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts befand sich der Weinbau auf dem Rückzug. Gründe waren die Ausdehnung der Wohnbebauung, die die stadtnahen Weinlagen überbaute, vermutlich auch die höheren Ansprüche an die Weinqualität, denen die Reben in Darmstadt und Umgebung nicht mehr gerecht werden konnten.
1777 gab es noch 170 Morgen Weingärten in der Darmstädter Gemarkung. Am 17. Oktober 1780 konnte man in der Zeitung lesen, dass die Darmstädter Lese zwar nicht so reichlich ausgefallen sei, aber eine gute Qualität besaß. Das endgültige Ende der Darmstädter Weinberge kam mit der schnellen Ausdehnung der Stadt und ihrer späteren Ortsteile seit dem frühen 19. Jahrhundert. Das enorme Bevölkerungswachstum führte zu Stadterweitungen und der Überbauung der stadtnahem Feldgemarkung, in der die meisten Weingärten lagen. Zwischen Darmstadt und Bessungen wurde die gesamte Feldflur bis etwa 1880 überbaut. Andere Weinberge wie die Mathildenhöhe und die Rosenhöhe wurden zu herrschaftlichen Landschaftsparks umgewandelt.
In Bessungen hielt sich der Weinbau noch am längsten. Im 19. Jahrhundert vermerkten die Pfarrer in der Pfarrchronik, wie die jeweilige Weinlese ausfiel. 1811 gab es guten Wein, 1818 sogar eine Spitzenqualität, 1834 war der Bessunger mindestens so gut wie der Rheinwein. Wie fragil der Weinbau war, zeigen jedoch die vielen Jahre mit Missernten: 1816, 1817, 1820, 1821, 1826. Die letzten Bessunger Weinberge verschwanden erst nach 1870. Bis zur Vereinigung mit Darmstadt gab es in Bessungen noch das Amt des Wingertmeisters und die Einschätzungskommission für die Weinsteuer. Die Wingertsbergstraße, der Heinrich-Wingertsweg, die Weinbergstraße und die Straße „Im Wingert“ erinnern heute noch an den alten Darmstädter und Bessunger Weinbau.
Wein von der Eberstädter Sanddüne
Wie sah es mit dem Weinbau in Eberstadt aus. Hier gab es Weinreben sicher seit der karolingischen Zeit (8./9. Jh.). Die ersten Belege stammen aber erst aus dem späten 15. Jahrhundert. Auch in Eberstadt war ein großer Teil der ortsnahen Gemarkung mit Weinbergen besetzt. Eine gute Weinlage war der Eschelkopf westlich der Kirchtannensiedlung. Dort befand sich ein ausgedehntes Weinanbaugebiet, das sich bis zur Kirche hinunterzog. Allerdings sind auf den Sanddünen sicher nicht die besten Weine gewachsen, kamen aber bei günstigen Bedingungen den auf Erde angebauten Weinen nahe. Darüber gibt uns ein Bericht in der Hessen-Darmstädtischen privilegierten Landzeitung vom 23. Oktober 1777 Auskunft, in dem wir über die Weinlese in Eberstadt das folgende lesen können: Wir haben seit einigen Jahren, ohngeachtet unsers dürren und brennenden Sandbodens, eine vorzügliche Güte in hiesigem Weinwachs verspühret. Der diesjährige, so in dem magersten Sand gewachsen, scheint dem besten Jahrgang nicht nachzustehen und jenen in den besten Erdlagen zu übertreffen. ... Die brennende Hitze im August und September nebst dem Umstand, daß kein Gräßlein wegen der Dürrung wachsen konnte, hielte den Boden fast glühend, daß die Repercussion der Hitze ebensoviel als die Sonnenstrahlen zur Beschleunigung der Zeitigung (Reife) beytrugen. Weiter wird berichtet, dass, weil die Trauben so frühzeitig reif und gut waren, eine ungewönlich große Zahl von Staren in die Reben eingefallen seien und einen großen Teil der Trauben gefressen hätten. Daraufhin haben die Eberstädter bei der Regierung die vorzeitige Lese der Trauben durchsetzen können. Dies war ihr Glück, denn die Stare retteten gewissermaßen die Ernte. Denn Mitte Oktober vernichtete ein harter Frosteinbruch die übrige Weinernte. Man sieht hier schlaglichtartig, mit wieviel Glück und Unsicherheiten der Weinbau behaftet war: Das erklärt, warum so viele Weingärten nicht oder nur unregelmäßig bewirtschaftet wurden.
Nicht nur der Sandwein am Eschelkopf wurde in Eberstadt gezogen. Die Weingärten zogen nach Süden weiter um den Ort herum. Entlang der Seeheimer Straße lagen noch im 18. Jahrhundert Weingärten, die später aufgeforstet oder überbaut wurden. So führt die Weinbergschneise südlich des Eberstädter Friedhofs heute durch Wald.
Die besten Eberstädter Wingerte lagen vermutlich am Hainweg sowie links und rechts der alten Dieburger Straße, die heute teils mit dem Verlauf der B 426 Richtung Mühltal identisch ist und sich nach Trautheim fortsetzt; außerdem wuchs guter Wein an der Gemarkungsgrenze zu Niederbeerbach und Malchen bis zur Mordach. Der Riedberg dürfte ebenfalls zu den besseren Lagen gehört haben. Etwas südlich davon befand sich der ebenfalls mit Reben bestockte Kreuzberg, an den wohl der Kreuzweg erinnert. Hier hatten auch die Herren von Frankenstein ihre Weingärten. 1682 und 1699 wurde der Herrnwingert an der Grenze zu Niederbeerbach erwähnt, vermutlich in der Nähe der Mordach. Auch am Strohweg und am Schlossweg im Südosten lagen mehrere Weingärten. Nördlich der Modau in der Gewann „Steiger“ zwischen Steigertsweg bzw. Weinweg und dem Mühltal wurde ebenfalls Wein angebaut. Bereits 1489 wurden Weingärten im Steiger erwähnt.
An die Wingerte nördlich und nordöstlich des alten Eberstädter Ortskerns erinnert die Weingartenstraße. Hier lag die 1489 erstmals erwähnte Flur „In den Weingärten“. Dieses Weingebiet zog sich nach Nordosten durch die Flur im Wolfert zwischen Steigertsweg und Hetterbachweg bis unterhalb des Prinzenbergs hin (dessen alter Name „Hetterberg“ war). Dieses ursprüngliche Waldgebiet (Wolfswald, Wolfsjagden kennt noch Pfarrer May, also aus dem späten 18. Jahrhundert) wurde wohl im Spätmittelalter gerodet und zum Weinbau genutzt. 1542 werden Weingärten in der Wolfert und am Hetterbach genannt.
Erste erwähnte Traubensorte: Gutedel
Über die Rebsorten, die angebaut wurden, konnte ich kaum Angaben finden. Sicher wird hier Riesling angebaut worden sein, ob der Pfälzer Traminer hier wuchs, ist unbekannt, genauso, ob auch Rotwein angebaut wurde, wenn dann nur in geringen Mengen. In Darmstadt war, wenn von Rotwein die Rede war, immer von importiertem Wein die Rede. Der Datterich trank ja auch keinen Darmstädter oder Eberstädter, sondern Assmannshäuser Rotwein.
Erstmals erwähnt wurde eine Traubensorte 1591. Am 14. Oktober dieses Jahres schrieb Landgraf Georg I. an seinen Bruder Wilhelm IV. von Hessen-Kassel über eine bestimmte Traube, genannt „Gutedel“. Er habe vor Jahren einige Setzlinge dieser Traube nach Kassel geschickt. Er habe jetzt in Darmstadt nicht genug Setzlinge davon, um sie nach Kassel zu schicken. Sein Gärtner habe ihm jedoch berichtet, in Stuttgart seien diese gut zu bekommen (s. die Abbildung des Briefes).
Vom "Sandwein" zu Spargel, Kartoffeln und Obst
Der Eberstädter Pfarrer Johannes Mai äußerte sich 1791 in einer Schrift über die Zu- und Abnahme des Nahrungsstandes in Eberstadt auch zum Weinbau und erklärte, warum dieser seit etwa 1750 stark zurückgegangen sei. Aufgrund einer Reihe von Missernten und wegen der mühseligen Bestellung hätte immer ein Teil der Weingärten brach gelegen. Mit Weinanbau ließ sich offenbar nichts mehr verdienen. Außerdem zeigte sich, dass die Eberstädter Feldflur für den Anbau der im 18. Jahrhundert eingeführten Kartoffeln und den Obstbau besser geeignet war. Deshalb bauten die Bauern Kartoffeln an und düngten sie reichlich, während die Reben kaum etwas an Dünger abbekamen, was ihrem Wuchs natürlich abträglich war. Während 1753 noch 800 Ohm Wein gekeltert wurden (ein Ohm = 160 Liter), waren es 1790 nur noch 100 Ohm. An der Qualität des Weins hatte Pfarrer May hingegen nichts auszusetzen. Er lobte vor allem den Sandwein, der schon im ersten Jahr trinkbar wurde und keiner langen Pflege auf dem Fass bedurfte. Er konnte sich in der Qualität durchaus mit den Rheinweinen messen. Wenn man jedoch berücksichtigt, dass die Eberstädter Weingärten nicht in Monokultur betrieben wurden, sondern zwischendrin Kartoffeln und andere Feldfrüchte gesetzt wurden, auch Obstbäume wuchsen, so wird man von der Qualität schon Abstriche machen müssen. Auch die Vertriebenen aus Ungarn, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Siedlung St. Stephan, heute bei Griesheim, gründeten, versuchten sich zunächst mit dem Weinbau auf dem Sandboden, bevor sie dann zum Spargelanbau übergingen. Im Übrigen zählte bis ins 18. Jahrhundert hinein auch Griesheim mit seinen Sandböden zu den Gemeinden, die Wein anbauten.
Im einem Bericht des Eberstädter Pfarrers Kißner aus dem Jahre 1857 ist zu lesen, dass es in diesem Jahr nur noch 1 ½ Morgen Weinberge gab, während früher ein großer Teil der Gemarkung aus solchen bestand. Man hat es aber vorteilhafter gefunden, dieselben allmählich eingehen zu lassen und dafür Kartoffeln, Korn und Klee zu pflanzen, da die Jahre, wo der Wein hier gut wurde, zu den seltenen gehörten. Die letzten 1 ½ Morgen dürften auch nicht mehr lange Bestand gehabt haben. Heute kann man sich nicht mehr vorstellen, dass Eberstadt einst fast wie ein rheinhessiches Winzerdorf von Reben umkränzt war, dass man egal in welche Richtung man den Ort verließ, auf Wingerte schaute. Seit gut zehn Jahren wird der Weinbau in Eberstadt durch eine Gruppe begeisterter Weinfans auf einem kleinen Hang unterhalb des Prinzenbergs wieder kultiviert.
Wir danken Dr. Peter Engels ganz herzlich, dass er uns den Text zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt und die Archiv-Scans aus dem Hessischen Staatsarchiv Marburg besorgt hat.
Text: Dr. Peter Engels, Stadtarchivar Darmstadt
Bild: Brief Georgs I. an Wilhelm IV. vom 14. Oktober 1591, Staatsarchiv Marburg (Stama), Bestand 4 c Hessen-Darmstadt Nr. 378
Hinweis Peter Engels: Das Wort "GuttEdell" im zweiten Absatz, Zeile 3 von Seite 1 ist ganz gut zu erkennen.