Wer den Werdegang von Weingut Christmann verfolgt und die Weine probiert hat, weiß, dass hier seit Jahrzehnten nach dem Bestmöglichen gestrebt wird. Was an Qualität aber möglich ist, wenn sich mehrere Generationen zusammentun, konnten wir bei unserem Besuch im Juni 2021 in Gimmeldingen erleben: Nach ausgiebiger Tour gemeinsam mit Sophie Christmann durch Idig, Ölberg-Hart und Vogelsang, Raritäten- und Fasskeller sowie Weinverkostung war uns schnell klar: Vater und Tochter verfolgen einen Masterplan – und damit ein noch höheres Ziel als sie als vielfach ausgezeichnetes biodynamisches VDP-Weingut schon erreicht haben. Ihre Strategie umfasst dabei mehrere Ebenen, die sich wie ein Zahnrad ineinander fügen, um schließlich in einem großen Ganzen aufzugehen – Ein beeindruckend logischer und konsequenter Weg.
Die Urgewanne Meerspinne kehrt zurück
Seit langem schon engagiert sich Steffen Christmann als VDP-Präsident für die Renaissance der Großen Lagen der Mittelhaardt. Ziel des Verbandes ist es, Lagennamen ausschließlich für die beste Kategorie zu verwenden und von allen anderen Herkunftsebenen eindeutig zu unterscheiden.
Wie eng die Geschichte des Weinguts mit den großen Lagennamen der Gegend verbunden ist, zeigt uns bereits das riesige Wappentier, das weithin sichtbar vor dem Haus über der Straße thront: die Meerspinne. – Diese war ursprünglich eine Gimmeldinger Einzellage, bevor sie und 18 weitere Einzellagen auf beiden Seiten der Weinstraße 1971 zu einer 846 Hektar umfassenden Großlage namens „Gimmeldinger Meerspinne“ zusammengefasst wurden. Nun soll der markante Name zurückkehren und in ein paar Jahren wieder ausschließlich der Urgewanne vorbehalten sein. „Der genaue Zuschnitt muss noch gefunden werden. Ausschlaggebend ist nicht allein das alte Kartenmaterial, sondern auch die Frage, was geologisch und klimatisch sinnvoll sowie sozial akzeptiert ist“, erzählt Sophie. Zum sieben Hektar großen Kernstück zählen die 1,2 ha der Christmanns im gegenwärtigen Mandelgarten, auf denen 25-Jahre-alte Riesling-Stöcke stehen.
„Erwartet aber keine Gliederfüßer im Weinberg“, schmunzelt Sophie, als wir in den Familien-Jeep steigen. „Der Name Meerspinne leitet sich von dem Wort „Mehrspänner“ her, mit dem dort aufgrund des steinigen Bodens früher gearbeitet wurde.“
Was die Gimmeldinger Lagen auszeichnet, ist nicht allein der massive Kalkstein zwei Meter unter der Erde, sondern auch der 13 km tiefe Taleinschnitt in den Pfälzer Wald, der tagsüber für eine gute Durchlüftung und nachts für ausreichend Kühle sorgt. Auch jetzt, da wir auf einem historischen Plateau im Idig stehen, weht eine angenehme Brise.
Die VDP.Große.Lage Königsbacher Idig – An klaren Tagen kann man von hier bis zum Odenwald und Schwarzwald schauen und sieht sogar das Heidelberger Schloss. Seit dem 13. Jahrhundert gehörte das Filetstück den Pfälzer Kurfürsten und fiel daher nicht der Erbteilung zum Opfer, die von Napoleon mit dem Code de Civil 1804 in der Pfalz eingeführt wurde. Anschließend gingen die Weingärten an Familie von Buhl, von der Christmanns sie Ende der 1990er-Jahre pachteten und schließlich kauften, sodass „Idig“ heute nahezu eine Monopollage ist.
Der Traum vom Vogelsang wird Wirklichkeit
Vater und Tochter fokussieren sich voll und ganz auf Riesling und Spätburgunder aus Ersten.Lagen und Großen.Lagen. Ihr jüngster Clou: der Neustadter Vogelsang, mit dem ein zehn Jahre währender Traum von Steffen Christmann in Erfüllung geht.
Die fast zehn Hektar große Rebfläche liegt etwas weiter südlich oberhalb von Neustadt und grenzt direkt an den Pfälzer Wald. Mit ihren 250 Metern Höhe ist sie die zweit höchste Weinlage der Mittelhaardt. Einst sollte hier ein Neubaugebiet entstehen, doch dann wurde sie in den 1980er-Jahren unter Naturschutz gestellt und von der Stadt Neustadt an einen konventionell arbeitenden Winzer verpachtete – aus heutiger Sicht ein Paradox, in den -80ern offenbar noch nicht.
Der Winzer konnte dem steilen, naturnahen Gelände, durchzogen von alten Trockenmauern wenig abgewinnen und so willigte er schließlich ein, als Steffen Christmann ihm einen Rebflächen-Tausch vorschlug.
Seit 2017 haben Christmanns und das Weingut Müller-Catoir stückweise die Lage Vogelsang übernommen. Dass sie das Potenzial hat, das erste Große Gewächs der Stadt Neustadt hervorzubringen, ist sofort augenfällig: Der Blick ist umwerfend, Wildblumen blühen, die Vögel zwitschern, im nahen Wald stehen hohe Esskastanien. Auch hier weht ein angenehmes Lüftchen aus dem Neustädter Tal, das mit 35 km noch deutlich tiefer in den Pfälzer Wald hereinreicht als das Gimmeldinger. Der Boden ist geprägt von Muschelkalk, der seinem Namen alle Ehre macht. „Anfangs bekam jeder, der bei der Arbeit eine Muschel fand, eine Flasche Großes Gewächs von uns geschenkt“, erzählt Sophie, die an diesem Tag frühmorgens bereits ein Fernsehteam hierher geführt hat. „Das haben wir mittlerweile eingestellt, es waren einfach zu viele.“
Die Lage Neustadter Vogelsang hoch über Neustadt an der Weinstraße. Nach unserer Tour durch die unter Naturschutz stehenden Weingärten können wir in der Vinothek eine Fassprobe des 2020er-Jahrgangs probieren, der nebenan gerade abgefüllt wird.
Frühlese für das neue biodynamische Sektweingut statt Vorlese für den Gutswein
Wir fahren zurück ins Weingut.Während in der Kelterhalle die Großen Gewächse 2020 abgefüllt werden, schenkt uns Sophie in der Vinothek als erstes den Gutsriesling und die Ortsweine Gimmeldingen und Königsbach ein. „2020 ist der letzte Jahrgang in dieser Form“, erzählt sie. „Die Gutsweine wird es künftig nicht mehr geben. 2021 werden sie erstmals zu einem Riesling Aus den Lagen vereint. Unser Ziel ist, einen Wein zu konzipieren, bei dem auf Anhieb klar wird, dass es etwas Anspruchsvolles ist, was man bei uns bekommt. Darüber hinaus gibt es dann ‚nur‘ noch Erste.Lagen- und Große.Lagen-Weine.“
Die Vorlese, die bis dato in den Gutsriesling floss, wird künftig als Frühlese im Sektgut verwendet, das Sophie und Steffen Christmann gemeinsam mit Mathieu Kauffmann 2019 gegründet haben. Aufgrund des höheren Säuregehalts, der für die Sektproduktion notwendig ist, müssen die Trauben deutlich früher gelesen werden.
Das Sektgut Christmann – Kauffmann ist das erste biodynamische Sektgut Deutschlands! – „Hier scheint sich wirklich eins zum anderen zu fügen“, staunen wir. „Eine Familie mit Konzept!“
„Jetzt fehlt nur noch ein größerer Keller, um genügend Platz für die Sektgrundweine zu haben und die Großen Gewächse lange reifen zu lassen“, bemerken wir, als wir zum Mittagessen bei Steffen Christmann auf der Terrasse Platz nehmen dürfen. „Der ist schon gefunden“, lacht dieser und präsentiert auf seinem Handy das Fotos eines riesigen Fasskellers am Ortseingang von Neustadt. „Zwei Generationen denken zusammen eben weiter als eine“, bemerkt Sophie. – Das glauben wir auf’s Wort!
Mit Sophie und Steffen Christmann in der Kelterhalle, wo die Großen Gewächse 2020 abgefüllt werden. Der Raritätenkeller des Weinguts ist beeindruckend. „Um Riesling zu erklären, braucht es eine Vertikale, damit die Kunden auch glauben, dass Riesling reifen kann.“ – Schmackhafter kann Überzeugungsarbeit kaum sein!