Aufschlag: Advantage Neumeister
Ein Samstagabend, Anfang September in Graz – die erste Station unserer Reise durch das Weinland Steiermark. In einem von außen eher unscheinbaren Gebäude, der „Alten Universität“, findet zum ersten Mal die Weinmesse „Große Weine aus den besten Rieden der Steiermark“ statt – klein, aber hochkarätig, wie sich schnell herausstellt. Im Inneren erweist sich das aufwendig renovierte Gebäude als durchaus gelungene Gegenüberstellung von modernem Interior Design mit allerfeinstem Zuckerbäcker-Stuck. In einem großen historischen Saal präsentieren rund 50 steirische Weingüter ihre großen Lagenweine des aktuellen Jahrgangs, aber auch gereiftere Tropfen. Eine einmalige Gelegenheit, sich über die einzelnen steirischen Regionen und einige ihrer wichtigsten Winzer im direkten Vergleich ein Bild zu machen. Wie so oft in Österreich (und so selten in Deutschland) ist hier auch das Catering dem Rahmen angemessen, was uns die Möglichkeit gibt, nicht nur stoisch durch zu verkosten, sondern den einen oder anderen Wein zwischendurch auch mal als Speisebegleiter zu genießen. Eine willkommene Seltenheit. Hier treffen wir auch schon Christoph Neumeister, mit dem Yook im Vorfeld einen Weingutsbesuch verabredet hatte. Eigentlich sind er und sein Bruder Matthias für uns fast schon alte Bekannte, denn die Neumeister-Weine bilden längst eine feste Größe im vinocentral-Sortiment und man kennt sich von verschiedenen Messen. Es war also höchste Zeit, die Neumeisters mal zu Hause zu besuchen. Doch bereits bei der Präsentation hier in Graz fällt uns sofort wieder auf, was uns an diesen Weinen von Anfang an faszinierte: ihre puristische Klarheit, ihre stille Größe und ihr unaufgeregter, dabei jedoch absolut präziser Stil machen sie vollkommen einzigartig – und das nicht nur im Hinblick auf ihre steirischen Nachbarn hier.
Auf nach Straden
Gleich am nächsten Morgen geht’s on the road. Unser Treffen mit Christoph ist zwar erst für den nächsten Tag geplant, aber wir wollen vor Ort die Gelegenheit nutzen, eine ganz andere Sensation im Hause Neumeister unter die sensorische Lupe zu nehmen. Denn während die beiden Söhne heute das Weingut führen, zeichnen die Eltern für den dortigen „Gutsausschank“ verantwortlich, den man in Anführungszeichen setzen muss, denn mit der üblichen Brettljause hat das Ganze wenig gemein. Im sensibel renovierten ehemaligen Gutshaus der Neumeisters befindet sich heute das Restaurant „Saziani Stub’n“. Hier pflegt Harald Irka als jüngster 3-Hauben-Koch der Welt und Superstar der österreichischen Gastro-Szene einen höchst individuellen, minimalistischen und regional verwurzelten Küchenstil. Auf höchstem Niveau und ohne jeden Schnickschnack. Seine Teller sind in der gleichen ruhigen Weise spektakulär wie die Neumeister-Weine – beides geht hier eine perfekte kulinarische Symbiose ein. Irka ist zudem ebenfalls ein echtes Eigengewächs. Denn anders als die meisten Spitzenköche heute, hat er nicht erst zig renommierte Karrierestationen abgehakt. Direkt von der Hotelfachschule weg wurde er von den Neumeisters damals als Jungkoch engagiert, übernahm bald die Leitung der Küche und erkochte bereits mit zarten 23 Jahren die dritte Haube. Kunststück. Und ein gefundenes Fressen für die Presse, die ihn ob seiner Wortkargheit und seines ungewöhnlichen Werdegangs zu einer Art gastrosophischem Kaspar Hauser stilisiert.
1 Die berühmte Saziani Stub’n – hier wirkt der jüngste Haubenkoch der Welt 2 Irkas Schnittlauchbrot für Fortgeschrittene mit ordentlich Aromen-PS unter der Haube 3 Kalbszunge mit verschiedenen Heimatgefühlen
Doch der Irka-Hype hat seine Berechtigung wie das sensationelle Menü an diesem Sonntagmittag eindrücklich beweist. Schon das sogenannte „Gedeck“ ist ein kleiner Paukenschlag. Unter einer Glashaube offenbart sich die geschmackliche Rubensvariante eines profanen Schnittlauchbrots: Auf hervorragendem hausgebackenen Roggensauerteigbrot mit handgeschöpfter Butter thront eine dicke Lage Schnittlauch und Knoblauchblüten aus dem Garten hinterm Haus. Das Ganze wurde leicht erwärmt und mit dem Öffnen des Glasdeckels erfüllt sich der ganze Raum mit einem wollüstigen Duft.
Damit nimmt ein kulinarisches Feuerwerk seinen Lauf, das so ungewöhnliche Pairings wie rote Beete mit Senf-Eis, karamellisierter Erdbeercreme, Schwarznesselessig und Steinpilz bereithält. Auf dem Höhepunkt zündet am Gaumen eine glasierte Kalbszungen-Tranche umringt von sieben soßenartigen Kreationen – darunter Liebstöckelspinat, Apfelkren mit Koriander, eingekochte Basilikumsaat mit Passionsfrucht und Sauerkraut-Chutney. Auf den ersten Bissen wirkt das ziemlich disparat. Doch durch die butterzarte, aromatische Zunge verbindet sich alles zu einem umwerfenden Ganzen. Den Teller nennt Irka „Heimat“ – jeder aus dem extrem jungen Küchenteam durfte ein typisches Grundprodukt seiner Region einbringen. Und der Spannungsbogen des Menüs hält bis zum Dessert, wenn der junge Eigenbrötler seine Variante des klassischen Palatschinkens auffährt: eine hauchdünne süße Crêpe aus karamellisierter Milchhaut, kombiniert mit Apfel, Lardo-Speck vom Wollschwein, Kürbiseis und Tomatengranité. Klingt gewöhnungsbedürftig? Mundet hervorragend!
1 Blick auf das idyllische Straden 2 Christoph erzählt von den Herausforderungen in seiner Region
Paradiesisch – oder etwa nicht?
Als wir am nächsten Tag Christoph treffen, geht’s zunächst zusammen in die Weingärten. Oberhalb der berühmten Lage Saziani (am unteren Ende liegt das Restaurant) befindet sich eine Aussichtsplattform, von der aus man einen herrlichen Blick über die Landschaft hat. Gegenüber liegt das idyllische Straden, vor uns das malerische Tal, umgeben von sanften Hügeln, Feldern, Wiesen und Wäldern. Christoph verweist auf die weit verstreuten Weingärten ringsherum – von Monokultur keine Spur. Mit dem lukullischen Abenteuer vom Vortag im Hinterkopf und dem Blick auf die wunderschöne Landschaft könnte man das hier glattweg für das Paradies halten. Doch Christoph weiß zu berichten, dass der schöne Schein ein wenig trügt. Bis heute hat die Region unter der Historie zu leiden. Hier in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Eisernen Vorhang gibt es bis heute fast ausschließlich Landwirtschaft und kaum Infrastruktur. Lange Zeit war die Region deshalb ziemlich arm, denn auch der Tourismus, der viele Regionen Österreichs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirtschaftlich beflügelte, spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Ihren renommierten Namen und den relativen Wohlstand hat sich Familie Neumeister durch kompromissloses Qualitätsstreben hart erarbeitet. Und auch das wurde in den letzten Jahren nicht einfacher. Wetterextreme wie Spätfröste im Frühling oder Hagelstürme machen auch dem Weinbau hier schwer zu schaffen und bringen immer öfter teils immense Ertragseinbußen. Der Ruf eines Weinguts kann noch so gut sein – wenn man nicht genügend zu verkaufen hat, wird es wirtschaftlich schwierig. In Sachen Qualität machen Neumeisters dennoch keine Kompromisse.
Große Weine in großem Ambiente
Um uns davon erneut zu überzeugen, begeben wir uns gemeinsam zum eigentlichen Weingut. Von außen fast unscheinbar fügt sich der kubische Bau in den steilen Hang. Er wurde bereits in den 1990er-Jahren errichtet und ist heute grün umwuchert. Innen dominiert Sichtbeton, Glas und Holz das noch immer höchst moderne Ambiente – im Zentrum eine spiralförmige deckenhohe Wand aus grünen Flaschen. Schon damals setzte man bei der Planung darauf, sich die Schwerkraft zunutze zu machen, um Traubenmaterial, Most und schließlich Wein möglichst schonend und ohne strapaziöses Umpumpen verarbeiten zu können. Von der Traubenannahme über die Presse bis zum Fasskeller verteilen sich die einzelnen Produktionsschritte über mehrere Stockwerke. Das ist heute in der Weingutsarchitektur fast schon ein Gemeinplatz – damals war es der Zeit voraus. Nach der ausgiebigen Führung durch das Gebäude verkosten wir uns mit Christoph durch das Sortiment, das vom Einstiegssegment über die Ersten und Großen Lagen bis zur Trockenbeerenauslese durchweg nicht nur überzeugt, sondern regelrecht ergreift. Unser Gastgeber kommentiert hier und da die Lagen, ihre Böden und Mikroklimata und die jeweiligen Jahrgänge mit ihren Herausforderungen. Und er erzählt von dem erhebenden Gefühl, mit dabei sein zu können, wenn diese Weine beispielsweise in New York gefeiert werden, und dass es da manchmal gar nicht so leicht sei, auf dem teils harten Boden der südoststeirischen Winzerwirklichkeit zu bleiben.
1 Ein auf der Maische vergorener Weißburgunder – solche Experimente produzieren die Neumeisters nur für den eigenen Weinkeller 2 Flaschenwand im Verkostungsraum
Puristisches Gesamtkunstwerk
Es ist bereits früher Nachmittag, als sich unser Besuch dem Ende neigt. Zum Abschied legt uns Christoph noch ein weiteres Projekt ans Herz, in dem die Neumeisters involviert sind. Wenn wir Hunger hätten, sollten wir doch auf jeden Fall in der Greislerei „De Merin“ vorbeischauen, einem Feinkostladen mitten im Ortskern Stradens. Hier werden ausgewählte Produkte der Region präsentiert und kleine Speisen angeboten. Und während wir dort so in der warmen Herbstsonne sitzen, wirklich hervorragende Schinken-, Speck-, Käse- und Gemüsespezialitäten mit einem (vorerst) letzten Glas Neumeister genießen, lassen wir die vergangenen 24 Stunden Revue passieren. Und da erscheint uns das Phänomen Neumeister noch einmal in einem ganz anderen Licht: die Art und Weise wie von Irkas außergewöhnlicher Küche über die minimalistische Weingutsarchitektur bis hin zu den glasklaren Weinen und der unprätentiösen Bodenständigkeit der Neumeisters alles hier aus einem Guss erscheint, rechtfertigt beinah schon den Begriff „Gesamtkunstwerk“. Alles atmet denselben puristischen und zeitlos schönen Geist, wie er nur durch ganz besondere Menschen und an einem ganz besonderen Ort entstehen kann. Und diesen Ort – sei er noch so klein und entlegen – kann man nur als reich bezeichnen.
Fotos: Michael Neser