Wellen auf dem Fluss! Als wir das erste Mal auf die Rhône treffen, hat sie bereits 480 km hinter sich. Von der Quelle aus ging es lange Zeit gen Westen, durch den Genfer See und das Juragebirge. Bei Lyon ändert der breite Strom plötzlich seine Richtung und wendet sich mit einer ausladenden Kurve gen Süden. Dabei trifft ein starker Nordwind seitlich auf die Wasseroberfläche, sodass es nur so spritzt. Bonjour Monsieur Mistral!
Wir nähern uns Frankreichs zweitgrößtem Weinanbaugebiet, den Côtes du Rhône, quasi durch die Hintertür. Doch das ist nicht weniger imposant: Die erste Nacht verbringen wir in Tain l’Hermitage. Direkt vor unserem Hotelfenster liegt die mächtige Hängebrücke Passerelle Marc Seguin, in unserem Rücken, keine zehn Minuten entfernt, die Weinberge der nördlichen Rhône. Schöner kann der Einstieg in die Weinwelt der Rhône nicht sein.
Beim Abendessen auf der Terrasse des Restaurants warten die Weingläser auf den eingedeckten Tischen im Liegen auf die Gäste. Eine Vorsichtsmaßnahme, die uns bei unserem dreitägigen Aufenthalt an den Côtes du Rhône noch oft begegnen wird. Die Menschen haben sich eingerichtet mit dem mächtigen Fallwind, der hier 100 Tage im Jahr bläst.
„Der Mistral macht den Mund trocken“, sagt die Hotelwirtin bei unserem Empfang. – Er hält aber auch die Reben gesund, sodass an der Rhône im Einklang mit der Natur wunderbare Weine entstehen. Eine köstliche Abhilfe gegen den Durst …
Erster Stopp: Nördliche Rhône
Am nächsten Morgen sehen wir doppelt. Schuld ist nicht der Weingenuss, sondern die morgendliche Flaute. Die Rhône fließt ruhig dahin, das gegenüberliegende Ufer spiegelt sich im dunklen Wasser.
Bevor es weiter flussabwärts geht, steigen wir zur Kapelle Saint Christophe hinauf. „La Chapelle“ liegt mitten in der berühmten Lage Hermitage. Dass der Boden an dieser Stelle kostbar ist, sehen wir sofort: Bis in die letzte Ecke ist der 350 m hohe, 136 ha große Hang mit Syrah (und ein bisschen Viognier) bestockt. Jetzt, am frühen Morgen sind die Arbeiter*innen in den steilen, verwinkelten Weingärten unterwegs, um zu heften und – wir trauen unseren Augen kaum – per Hand zu gießen. Ein schmaler Pick Up mit Wassertank auf der Ladefläche steht im Hohlweg. Von dort schwärmen die Arbeiter*innen immer wieder mit gefüllten Gießkannen aus, um die vereinzelt liegenden Nachpflanzungen zu bewässern. Der überwiegende Teil des Rebbestands ist uralt und wurzelt tief im Granit. Die Reben werden niedrig, an hölzernen Einzelstöcken erzogen. Wir blicken hinab ins Rhônetal und begreifen, dass vor uns ein großes weinkulturelles Erbe liegt.
Und das ist erst der Anfang, denn weiter gehts zum UNESCO-Welterbe Avignon, Herz der Côtes du Rhône.
Der Duft der Garrigue
Den Blick vom Fluss und seinen Weingärten können wir von nun an nicht mehr lassen. Wir entscheiden uns für die Landstraße und kurven gemächlich dahin, vorbei an Ortsschildern, die wir bisher nur von Weinetiketten kannten. Schon nach kurzer Zeit verändert sich die Vegetation. Das satte Grün, das uns von der Bresse bis nach Valence begleitet hat, weicht einer mediterranen Flora aus Ginster, Pinien, Eichen und der berühmten südfranzösischen Heidelandschaft. Als wir auf dem Hochplateau von Uchaux das nächste Mal aus dem Auto steigen, schlägt uns der markante Duft der Garrigue entgegen. Die klein parzellierten Weingärten liegen quasi mitten im Wald, umgeben von all diesen herrlich duftenden Bäumen und Sträuchern, deren Geruch die Reben genauso aufsaugen wie wir in diesem Moment.
Betört fahren wir durch kleine südfranzösische Dörfer, die träge in der Mittagssonne vor sich hin dösen. Vorbei an antiken Amphitheatern und altertümlichen Waschplätzen, Obstgärten und Weinstöcken. Obwohl die Temperatur Mitte Mai bereits um die 30 °C beträgt, lässt sich die Hitze gut auszuhalten, denn es ist kein bisschen schwül.
Avignon – Herz der Côtes du Rhône
Die alte Papststadt empfängt uns ganz modern mit einem kostenlosen Park-and-Ride-Shuttle. Pausenlos fahren die Kleinbusse hin und her und bringen Pendler*innen, Einheimische und Tourist*innen durch die Tore der mittelalterlichen Stadtmauer. Dass Avignon trotz der historischen Bauten nicht museal erstarrt ist, liegt an der großen Zahl an Studierenden, die heute in der bereits 1303 gegründeten Universität eingeschrieben sind. Gleichzeitig ist die Stadt touristisches und ökonomisches Oberzentrum der Region.
Die Altstadt ist komplett verkehrsberuhigt. Wir schlendern durch die kleinen Straßen, je näher wir dem Palais des Papes kommen, desto enger werden die Gassen. Um eine Ecke noch und vor uns erhebt sich der größte gotische Prachtbau der Welt.
Das avignonesische Papsttum wurde 1305 vom französischen König Philipp dem Schönen gegründet, um die Macht der Kirche für sich nutzbar zu machen. Er ließ den Erzbischof von Bordeaux zum Papst wählen und siedelte ihn als Clemens V. in Avignon an. Bis 1408 residierten zahlreiche Päpste und Gegenpäpste in der südfranzösischen Provinzstadt und führten sie zur kulturellen Blüte. Den Grundstein für den Palast legte 1335 Papst Benedikt XII.. Er ließ ihn auf massives Felsgestein bauen, sodass es den zahlreichen Gegner*innen unmöglich war, über unterirdische Tunnel in das festungsartige Gebäude einzudringen.
Heute wird der zentrale Innenhof jeden Sommer von Schauspieler*innen und Regisseur*innen aus der ganzen Welt bespielt, die im Rahmen des großen Theaterfestivals Festival d’Avignon in der Stadt zu Gast sind. Eine Besichtigung des Palastes lohnt sich, auch wenn die Französische Revolution und die napoleonischen Truppen von der ursprünglichen Inneneinrichtung wenig übrig gelassen haben. Die Gewölbe und Blickachsen in den monumentalen Sälen sind immer noch spektakulär.
Ein weiteres berühmtes Highlight der Stadt ist natürlich die Pont Saint-Bénézet, deren Ruine sich in Bögen bis zur Mitte der Rhône spannt. Fällt ihr Name, gibt es kaum jemanden, der nicht das berühmte Kinderlied anstimmt. Manch eine*r fühlt sich beim Besuch der Brücke sogar zu einem kleinen Tänzchen animiert.
Insgesamt ist es ein sanfter Tourismus, der hier stattfindet. Die drei Restaurants am riesigen Vorplatz des Palastes fügen sich dezent in die von hellem Stein geprägte Kulisse ein. Die angeschlossene Grünanlage gleicht eher einem Wäldchen als einem Park. Verborgene Treppen führen hinunter zum Fluss oder zurück in die Stadt, wobei der Blick immer wieder auf den Palast fällt, der mit seinen mächtigen Türmen alles dominiert.
Rund herum liegen versteckte Plätze mit individuellen Restaurants und Cafés. Die Speisekarte ist meist klein, aber immer gibt es ein Menü, das man sich aus vier bis fünf Angeboten pro Gang selbst zusammenstellen kann. Dazu werden die Weine der Côtes du Rhône angeboten und direkt am Tisch eingeschenkt, auch wenn man nur glasweise bestellt. Eine schöne Sitte, die die Verbindung zu den Weinen und den Winzer*innen der Region stärkt.
Apropos Wein! Wegen ihm sind wir schließlich in die Hauptstadt der Côtes du Rhône gekommen. Deshalb geht es am nächsten Morgen früh raus und mit dem Auto in die berühmten Villages, die ausgewählten Ortschaften, die auf den Etiketten der Appellation Côtes du Rhône genannt werden dürfen. Die meisten von ihnen liegen nordöstlich von Avignon. Viele Male stoppen wir, um die unterschiedlichen Böden zu begutachten, die mal gelb, mal rot, mal weiß in der Sonne leuchten und den Weinen ihren ganz individuellen Charakter verleihen. Manche Weingärten sind über und über mit den berühmten galets, den großen runden Kieselsteinen bedeckt, die die Rhône vor Millionen von Jahren weit ins Tal hineingespült hat.
Während sich die Restaurants in den Dörfern für das Mittagessen herausputzen, starten Hobby-Rennradfahrer*innen zu einer Probefahrt Richtung Mont Ventoux und Wanderlustige in das Wander- und Klettergebiet rund um die imposant gezackten Bergkämme der Dentelles de Montmirail, die weithin sichtbar aus den Pinienwäldern herausragen.
Bis auf 600 m und höher reicht manch eine Appellation hinauf. Mitten im Wald entdecken wir immer wieder kleine Rebgärten mit uralten Stöcken, aber auch Neuanpflanzungen. Es gibt Bienenstöcke und Fledermaus-Nistkästen. Die Insekten und Tiere übernehmen wichtige ökologische Funktionen. Bienen helfen bei der Bestäubung und wie die Fledermäuse vertreiben sie den schädlichen Traubenwickler. So geht Weinbau mit der Natur! Mühsam, dafür aber umso eindrucksvoller.
Um die Mittagszeit wird wieder eingekehrt, je nach Gusto in eins der feinen Sterne-Restaurants oder etwas einfacher in eine der vom Wanderführer Le Routard empfohlenen Auberges mit Cuisine Maison [Hausmannskost]. Egal, was man wählt, gut und abwechslungsreich ist es immer! Dazu natürlich ein Glas Côtes du Rhône. – Wir sind uns sicher, wer diese Landschaft und ihre Weinberge gesehen hat, trinkt den Wein anders als zuvor!
Mehr über die Region und unsere Côtes-du-Rhône-Weine gibt es hier
Fotos: Janne Böckenhauer, vinocentral