Es war einmal in den 1970er-Jahren. Da lebte im von weinseliger Biederkeit und Schunkeltourismus geprägten Moseldorf Kinheim-Kindel der Winzersohn Rudolf Trossen und machte sich so seine eigenen Gedanken. Er war infiziert mit den rebellischen, „alternativen“ Ideen, die – ausgehend von Randgruppenphänomenen wie dem Mythos 68 – langsam in die breite Gesellschaft sickerten. Und er entdeckte unter anderem die Lehren Rudolf Steiners, die ihn faszinierten, und trat immer tiefer in dessen Ideenkosmos ein. Diese „andere“ Weltsicht prägte ihn nachhaltig und bestärkte ihn in seiner Überzeugung, dass im konventionellen Weinbau seiner Zeit die Rechnung ohne, ja, sogar gegen die Natur gemacht wurde. Und so führte er schließlich, als er 1978 gemeinsam mit seiner Frau Rita das elterliche Weingut übernahm, die Biodynamie im Weinberg ein. Als Erster an der Mosel. Die Reaktionen im Umfeld kann man sich lebhaft ausmalen.
Internationaler Durchbruch
Im Weinberg verfolgte das Winzerpaar Steiners Methode eines „zukünftigen Landbaus“, die auf einem vertieften Studium und Verständnis der Naturvorgänge beruht, um dann mit den sogenannten biodynamischen Präparaten helfend und fördernd eingreifen zu können.
Möglichst wenig eingreifen wollten die beiden jedoch von Anfang an bei der Werdung ihrer Weine im Keller. Neuerdings fabulieren da ja viele Winzer*innen vom „kontrollierten Nichtstun“ – damals wurde das allgemein noch als Spinnerei belächelt. Denn die Weine, die so entstehen, sind zwangsläufig anders als das lehrbuchmäßig manipulierte Primärfruchtgedöns, mit dem sich der gemeine deutsche „Weinfreund“ bis heute bevorzugt den Geschmackssinn vernebelt.
Und so blieben die Trossens stets in ihrer selbst gewählten Nische – abseits des Mainstreams. Aber genau in dieser Nische ereignete sich dann ganz unverhofft, wovon die meisten Winzer*innen nur mit fetten Marketingbudgets unterm Kopfkissen zu träumen wagen: Irgendwann im noch frischen neuen Millennium standen plötzlich Besucher*innen aus dem Ausland auf der Matte. Junge Weinhändler*innen und Sommeliers/Sommelièren – beispielsweise vom revolutionären Kopenhagener Restaurant „Noma“. Sie waren auf der Suche nach Bioweinen von der Mosel und sofort angetan von den Gewächsen von Rita und Rudolf Trossen. Und sie kamen immer öfter, diese Leute, und brachten einmal „vins naturels“ aus Frankreich mit. Die stießen bei den Trossens keineswegs alle auf Gegenliebe, aber manche waren wohl ergreifend.
Er solle auch mal einen Wein ganz ohne Schwefelgabe vinifizieren, bat man ihn, was Rudolf Trossen bereitwillig tat. Trank er doch selbst mit Vorliebe seine noch ungeschwefelten Weine direkt vom Fass und war der komplette Verzicht auf den Schwefel eigentlich nur die konsequente Weiterführung seiner Vorstellung vom möglichst unverfälschten Wein. Doch wie viele seiner Kund*innen hätten diesen ungewohnten Geschmack damals wohl goutiert? Aber da waren ja jetzt diese Leute aus dem Ausland, allesamt Jünger einer neuen weltweiten Bewegung, die sich die Forderung nach sogenannten „natural“, „raw“ oder „naked wines“ auf die Fahne geschrieben hatte.
Doyen der alternativen Weinkultur
Bis heute arbeitet Rudolf Trossen nicht einfach nur irgendwie biodynamisch, sondern ist ein zutiefst von der Anthroposophie überzeugter und folglich auch spirituell orientierter Winzer. Das gilt heute keineswegs für alle Biodynamiker*innen. So manche*r würde sich der esoterischen Weltsicht Steiners gerne entledigen. Die Frage, ob denn die Biodynamie überhaupt ohne ihre spirituelle Dimension anwendbar sei, bejaht Rudolf Trossen zwar, wendet jedoch ein, dass man sich damit eben „zurück in den Katholizismus“ begebe und unmündig Dogmen befolge. Steiner hingegen sei es darum gegangen, die autonome Urteilskraft des Menschen zu stärken, indem dieser selbst seine Wahrnehmung und seine Empfindsamkeit schult und lernt, wieder vorurteilsfrei hinschauen und staunen zu können wie ein Kind.
Vielen Kenner*innen der Szene gilt Rudolf Trossen heute als eine Ikone des biologischen Weinbaus gleichermaßen wie der hierzulande noch zaghaft austreibenden Naturweinszene. Sein Wirken beschränkt sich dabei keineswegs darauf, nur Wein zu produzieren. Viele Jahre engagierte er sich in Verbänden wie Demeter oder Ecovin. Er meldet sich in der Politik zu Wort, beispielsweise vor dem Agrarausschuss der EU in Brüssel oder im Kampf gegen die so sinnlose wie monströse Hochmoselbrücke. Bisweilen verfasst er auch Artikel über sein Metier und das stets überaus kenntnisreich, wortgewandt und weise. Und wann immer er spricht oder schreibt, holt er gerne mal etwas weiter aus. Wenn er dann beispielsweise darlegt, wie sich durch den antiken Dionysos-Kult – mit dem Wein im Zentrum – die historischen Wurzeln unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft herausbildeten, nimmt die vielfach als bloße Marketingfloskel überstrapazierte Vorstellung vom „Wein als Kulturgut“ eine unerwartet tiefgründige und faszinierende Gestalt an.
Der Prophet im eigenen Land
Heute produzieren Rita und Rudolf Trossen hauptsächlich Rieslinge, die sie zum Teil ohne, zum Teil mit geringer Schwefelung auf die Flasche bringen. Die einen etwas fordernder und gerbstoffbetonter, die anderen etwas näher am gewohnten Geschmacksbild. Ganz undogmatisch, aber immer „low-tech“. Und die beiden Linien stehen keinesfalls im Widerspruch zueinander. Unverfälschte, ausdrucksvolle, aber nie vordergründige Weine, die mit viel innerer Ruhe und Harmonie, aber wunderschönen Ecken und Kanten von ihrem Terroir und ihrem Werden erzählen. Und dabei hört man ihnen heute in vielen Ländern rund um den Globus ganz selbstverständlich zu, zum Beispiel in der fortschrittlichen Spitzengastronomie von Paris, London, Kopenhagen und Helsinki über Tokio und Hongkong bis nach New York oder Melbourne. Und in Deutschland? Nun, auch da tut sich so langsam was. Aber im Großen und Ganzen rennt die Avantgarde des Weins hierzulande noch immer gegen den industrialisierten Massengeschmack und die konservativen Kräfte der Weinwelt an und singt: We shall overcome some day … Wie damals in den 70ern …
Mehr über das Weingut Trossen und seine Weine lesen Sie hier
Fotos: Weingut Trossen