Georgien gilt als Wiege des Weins. Bereits vor 8.000 Jahren wurden dort Trauben vergoren. Durch die Naturwein-Szene erlebt die vorzeitliche Methode international ein Revival.
Sich alten ursprünglichen Methoden zuzuwenden, um daraus Erkenntnis und Inspiration für die eigene Arbeit zu schöpfen, ist ein Phänomen, das sich bei vielen Kreativen beobachten lässt. Allen voran in der Kunst:
Der Ethnologe Leo Frobenius unternahm zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Expeditionen zu den Höhlenmalereien Europas, Asiens und Afrikas. Auch Kunstschaffende gehörten mit zu seinem Team. Ihre Aufgabe war es, gemalte Nachschöpfungen der Felsbilder anzufertigen.
Für die Künstler*innen der Moderne waren diese Entdeckungen ein Schlüsselerlebnis. Viele ließen sich davon inspirieren. Das zeigt vom 24. März bis 25. Juni 2023 die Ausstellung Urknall der Kunst. Moderne trifft Vorzeit im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, in der Felsbilder aus der Sammlung des Frankfurter Frobenius-Instituts Werken von u.a. Joan Miró, Paul Klee, Hans Arp und Pablo Picasso gegenübergestellt werden.
In der internationalen Weinwelt dient heute die Jahrtausende alte georgische Tradition der Weinherstellung zahlreichen jungen Produzent*innen als Inspirationsquelle.
Bei der georgischen Methode werden die gepressten Trauben samt Stielen, Kernen und Beerenhäuten in große, in den Boden eingelassenen Tonamphoren, die sogenannten Quevris, gefüllt. Dort gärt und reift der Wein dann komplett „auf der Schale“.
Das verleiht den Rotweinen eine besonders dunkle Farbe. Weißweine erhalten mehr Tiefe und eine expressive Aromatik. Durch den langen Schalenkontakt haben sie eine ausgeprägte Gerbstoffstruktur und eine orange-goldene Farbe, was ihnen den Namen Amber oder Orange Wine einbrachte. Diese vorzeitliche Art der Weinbereitung wird von europäischen Naturwein-Winzer*innen neu interpretiert.
Aber auch die aktuelle georgische Weinszene ist im Aufbruch. Nach der Zeit der Sowjetunion, in der auf Massenproduktion nach europäischem Ausbaustil gesetzt wurde, haben gut ausgebildete junge Weinmacher*innen die alte Methode wiederentdeckt und individuell weiterentwickelt. Von der Vielzahl an Weinstilen konnte sich das vinocentral-Team auf einer Georgienreise selbst überzeugen.
Beim Weinabend „Big Bang Wein“ am Samstag, dem 17. Juni, präsentiert das vinocentral in den Innenhöfen des Hessischen Landesmuseums Darmstadt ausgewählte georgische Quevri-Weine. Die deutsche Naturwein-Szene wird vertreten durch die Winzer*innen Bianka und Daniel Schmitt (Rheinhessen), Jonas Seckinger (Pfalz) sowie das Team von Nature’s Calling. Dazu serviert die Museumsgastronomie „Herzblut und Zinke“ Speisen, inspiriert von der traditionellen georgischen Tafel sowie der Paleo-Küche.
Die Ausstellung Urknall der Kunst. Moderne trifft Vorzeit ist geöffnet und kann parallel zur Weinverkostung besucht werden. Ein Abend mit doppeltem Urknall!
Samstag, 17. Juni 2023, 19.00 Uhr
Big Bang Wein
Georgischer Quevri-Wein trifft Naturwein-Szene
Eintritt: 20 Euro pro Person (inklusive 3er-Weinprobierkarte (3 x 0,1l) und Ausstellungsbesuch „Urknall der Kunst. Moderne trifft Vorzeit“) Tickets hier
Ort: Rodensteiner Hof und Gotischer Hof des Hessischen Landesmuseums Darmstadt (bei Regen: Haupthalle des HLMD), Friedensplatz 1, 64283 Darmstadt
Eingang über die Museumsgastronomie Herzblut & Zinke, links vom Hauptportal des Museums.
Von links nach rechts:
Joan Miró, Les Agulles del Pastor, 1973 © Successió Miró / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Sammlung Museum für Druckgrafik, Rankweil, Foto: Sasa Luis / VAN HAM Kunstauktionen GmbH & Co. KG |
Joachim Lutz, Ruchera (Höhle), Simbabwe, 1929, Aquarell auf Papier © Frobenius-Institut Frankfurt am Main |
Joseph Beuys, Hirsch, 1956, Aquarell, Courtesy Line: Collection Thaddäus Ropac, London . Paris . Salzburg . Seoul © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Ketterer Kunst GmbH & Co KG
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Informationen zu den Weingütern:
Die georgischen Weine werden vom vinocentral-Team ausgeschenkt. Vertretene Weingüter:
Satemo, Kachetien
Die acht Hektar großen Weingärten von David Mkheidze liegen in Inner-Kachetien, unweit der Provinzhauptstadt Telavi, einst Sitz der kachetischen Könige und Teil der alten Seidenstraße. Das Alasani-Tal ist fruchtbar, das Klima ideal für den Weinbau. Im Norden schützt der Große Kaukasus vor kalten Luftmassen, im Süden wird es von der Bergkette Gombori begrenzt. Davids Rebstöcke sind über 60 Jahre alt und bestehen ausschließlich aus heimischen Sorten. Darunter die weißen Rkatsiteli [sprich: Kazitelli] und Kakhuri Mtsvane [sprich: Mizwane] sowie die rote Saperavi. Nach wie vor erfolgt der Ausbau im Quevri. Die Trauben werden nicht entrappt, sondern nur grob zerkleinert. Dann kommen sie ohne vorherige Schwefelgabe in die unterirdischen 600-Liter-Amphoren. Nach sechsmonatiger Gärzeit haben sich Kerne, Stiele und Schalen [georgisch: Chacha] im unteren Teil des Gefäßes abgesetzt. Die Flüssigkeit wird abgezogen und für den weiteren Reifeprozess in Edelstahlfässer gegeben. Der Wein ist unfiltriert und ungeschönt, lediglich vor der Füllung wurde eine minimale Menge Schwefel zur Haltbarmachung zugesetzt. Durch den langen Schalenkontakt kennzeichnet die Satemo-Weine eine ausgeprägte Gerbstoffstruktur, die ihnen Tiefe und eine expressive Aromatik verleiht. Dennoch haben sie sich eine gewisse Frische bewahrt.
Andrias Gvino, Kachetien
Das Familienweingut wurde 1984 im kleinen, im Iori-Tal gelegenen Dorf Khashmi, 35 km östlich der georgischen Hauptstadt Tiflis, gegründet. Seit George Wolski 2016 die Leitung im Weingut übernahm, wird der Wein kommerziell vertrieben, zunächst nur in Georgien, seit seinem Erfolg in der Naturwein-Szene auch international. In den fünfzehn Parzellen von Andrias Gvino in ausgesuchten Lagen unterschiedlicher georgischer Anbaugebiete wachsen besonders seltene Rebsorten. Im Keller orientiert sich der umtriebige Winzer an der alten georgischen Tradition: Alle Weine werden in großen, eiförmigen Tonamphoren [georgisch: Quevri] ausgebaut, die tief in den Boden eingelassen sind. Die Weinbereitung erfolgt unter Einhaltung höchster Hygiene- und Qualitätsansprüche. Denn nur so kann auf jegliche Zusätze verzichtet werden. Der Ausbau in den Quevris variiert je nach Region. Wie unterschiedlich sich das auf den Wein auswirkt, zeigt Andrias Gvino. George Wolskis Spezialität ist es, mit den regionalen Ausbaumethoden „zu spielen“. Wer sich dem georgischen Quevri-Wein nähern möchte, kann hier von light bis expressiv alles probieren!
Die deutschen Naturweinwinzer*innen sind persönlich anwesend. Vertretene Weingüter:
Bianka & Daniel Schmitt, Rheinhessen
Die Weinberge von Bianka & Daniel Schmitt liegen mitten im Wonnegau, umringt von prominenten Nachbarn. Das Weingut selbst ist über 200 Jahre alt. Weinstube, Gästehaus, die klassischen Rebsorten der Region: alles ganz traditionell – möchte man meinen, hätte nicht 2013 eine kleine Revolution stattgefunden: Junior-Winzer Daniel verliebte sich in die angehende Winzermeisterin Bianka, Bianka sich in Daniel und beide zusammen in die Naturweine des Elsässer Kultwinzers Julien Meyer. Seither ist die Weinproduktion im Keller des Weinguts eine andere – sie wurde aber nicht auf den Kopf, sondern vielmehr vom Kopf auf die Füße gestellt. Denn Bianka und Daniel machen „Wein ohne alles“. Für sie ist Wein vergorener Traubensaft, basta! Ein Naturprodukt, das auch so belassen werden muss. Und während sich hierzulande viele damit noch schwertun, ist der Erfolg im Ausland bereits da: auf Naturwein-Events in Wien, Kopenhagen, Malmö und London hinterlassen die Schmitts regelmäßig begeisterte Weinfans.
Seckinger, Pfalz
Die drei treibenden Kräfte hinter der einzigartigen Erfolgsstory sind Philip, Jonas und Lukas Seckinger. Schon 2012 als die Brüder das Weingut in Niederkirchen bei Deidesheim gründeten, war klar, dass hier keine halben Sachen gemacht werden. Viele Winzer*innen wagen sich erst mit ein paar Jahren Erfahrung an das Thema „bio“ – die Seckinger-Brüder starteten direkt damit und stehen heute bereits kurz vor der noch etwas anspruchsvolleren biologisch-dynamischen Zertifizierung. Im Keller wird nach allen Regeln der Naturweinkunst gearbeitet. Das bedeutet 100 % Spontangärung, lange Maischestandzeiten, kein Einsatz von Enzymen, Schönungsmitteln oder anderen Hilfsstoffen und minimale physische Eingriffe wie in manchen Fällen eine sehr sanfte Filtration. Auch Schwefel wird, wenn überhaupt, nur ganz gering dosiert bei der Füllung zugesetzt. Und das Ergebnis all dieses Tuns und vor allem Unterlassens? Herausragende Weine mit spannenden Ecken und Kanten.
Nature’s Calling
Sven Grolik ist in Darmstadt vielen bekannt vom Chez und anderen Events. 2021 gründete er zusammen mit Louisa Müller und Nicolas Wenz in Berlin Nature’s Calling. Die Idee: Easy Naturweine zu einem fairen Preis anzubieten, produziert von jungen Winzer*innen aus Deutschland. Alle Beteiligten arbeiten biodynamisch. Die Weine gären spontan und natürlich und werden nach der Reifezeit in der Amphore ungefiltert in Flaschen abgefüllt. Das Motto von Nature’s Calling: Nichts hinzufügen, nichts wegnehmen. Beim Weinabend im Museum schenken Sven Grolik und Team Weine von Jonas Bosch, Hannes Bergdoll (beide Pfalz) sowie von Laura Seufert & Franzi Schömig (Franken) aus.
Titelbild: LEPL National Wine Agency of Georgia